Als Jakob Wecker pünktlich um Mitternacht von seiner einsamen Kneipentour zurückkommt und nur noch in sein Bett fallen will, sieht er sich selbst schon darin liegen. Aber nichts Lebendiges scheint an seinem Ebenbild zu sein, weshalb er nicht allzu sehr erschrickt, sich gleichwohl wundert, wie er oder der, welcher eine exakte Kopie seiner selbst ist, dort zu liegen gekommen ist. „Liegen“ ist wohl der falsche Ausdruck: Das, was unter der gelüfteten Daunendecke im Licht der Nachttischlampe zum Vorschein kommt, wirkt wie eine Folie, ein lebensgroßes Foto, eher schwarzweiß als farbig, mit der Kontur eines Körpers, eben seines Körpers.
Corona
Kühlungsborn
Reisesplitter III
Dieser Ort kühlt meine Reiselust gehörig ab. Ich habe ihn anders in Erinnerung, nicht so voll, weniger touristisch, selbst vor zwei Jahren zur gleichen Zeit, als es noch keine Pandemie gab. Sorglos wälzen sich ortsfremde Menschen links und rechts über die Strandstraße, ein nicht abreißender Strom zur Seebrücke hin und zurück, vorbei an Läden, Restaurants und Buden. Sorglos suchen die Menschen wieder Nähe – sie macht ihnen zumindest nichts mehr aus. Weiterlesen
Alter Mann
Die Stadtbahn ist schon wieder zu voll. Viel zu voll für diese Zeit – für diese Zeiten. Da nützen auch keine Masken. Wie gut, dass ich bereits geimpft bin. Prio 2, Risikogruppe – die Zipperlein eben. Noch bin ich keine sechzig. Ein Jahr bleibt mir noch. Ein weiteres verlorenes Jahr? Ich gebe zu: Dieser runde Geburtstag ist eine Bank, eine Schlachtbank. Mit sechzig ist man alt. In zehn Monaten werde ich ein alter Mann sein. Endgültig. Unabänderlich. Die Grauzone bekommt ein neues Mitglied. Sieh dir das Gruselkabinett doch an: Wie Zombies sitzen sie da, stumm, ausdruckslos, ihre schlaffen Leiber nur in Bewegung durch die ruckelnde Bahn. Die Masken verbergen nur wenig von dem Elend. Die Bahn hält. Niemand steigt aus, eine alte Frau drängt herein. Meine Chance! Weiterlesen
Lockdown-Krieger
Noch halten sie still
Die jungen Männer
Noch stehen sie nur
Hinter den Fenstern
Starren schweigend
Lauern auf etwas
Irgendwo da draußen
Ein Signal zum Aufbruch
Wie im Spiegel
Was werden wir noch sehen
Wenn wir unsere beiden Leben
Aneinander halten
Anders als unsere Körper
Die sich nicht berühren dürfen
Voreinander schützen
Uns nur von Ferne sehen
Den anderen wie mich selbst
In einem Spiegel
Und ohne
Es hieß, sie starb an oder mit …
Und ohne
Dass ihr jemand die Hand hielt
Und alle
Drei …
Zwei ..
Eins . am
Würdelos
Es stirbt sich nicht schön
In so unwürdigen Zeiten
In denen lebendig zu sein
Allein schon trist erscheint
Und nicht einmal Trost
Und Trauer den Lebenden
Vergönnt ist wie den Toten
Die Ehre des letzten Geleits
Im Turm
In meinem Turm habe ich eine Rundum-Sicht. Ich blicke vom höchsten Punkt in den Talkessel von Stuttgart, auf die gegenüberliegenden Höhen. Ich stelle mir vor, das da unten sei mein Königreich, die Niederungen des Lebens, über die ich herrsche, ich, der ich eigentlich immer noch nicht glauben kann, in einem solchen Anwesen wohnen zu dürfen – in einer eigenen Burg mit Turm, nur ich allein. Und meine Frau. Meine Frau, die damit hadert … Weiterlesen
Ausklang
Weihnachten ist rum. Silvester wird einsam. Das Draußen ist annähernd zum Drinnen geworden. Mehr noch als im Mai, als mir dieser Gedanke erstmals kam. Zum Jahresausklang ist vieles noch unglaublicher geworden, besonders im „Musterländle“. Baden-Württemberg macht dicht: Schon um acht Uhr abends werden wir eingesperrt, weggesperrt. Weiterlesen
Was bleibt
Was bleibt ist immer noch viel
Ich esse, trinke, schlafe
Trinke, esse, schlafe
Schlafe trinke esse
Sehe die Welt
Meine
Kleine
Die große
Nur per Bild
In Erinnerungen
Ich denke also bin ich
Was bleibt ist immer noch viel
Andockmanöver
Gut, dass er drüben nicht wohnen muss. Dieser Verhau von einem Balkon! Als wäre er eine Müllhalde. Nur leider muss er täglich draufgucken, kommt kaum daran vorbei, weil die Häuser so dicht stehen, gerade mal eine schmale Schneise lassen für einen seitlichen Blick auf etwas Grün, den alten Baum, der schon im August braun wird. Er gehört zum nahen Park, den er das letzte Mal vor einem Jahr besucht hatte – damals schon kurzatmig und in Begleitung eines Betreuers. Weiterlesen