Im Abgang leicht bitter

— Wünschen Sie die Speisekarte?
Er: Bitte.
Sie: Eine bemerkenswerte Ausstellung.
Er: Ja, seine Werke sind sattsam bekannt. Und doch hat diese Kompilation ihren ganz besonderen Reiz.
Sie: Das Konzept ist ganz ausgezeichnet. Hab ich Roland auch gesagt.

— Bittesehr, die Herrschaften, was darf es denn zum Trinken sein?
Er: Für meine Gattin einen Prosecco, für mich einen leichten Sommerwein. Was haben Sie denn da? Ah, der offene Pinot Grigio ist sicher eine gute Wahl. Ach, und ein stilles Wasser bitte.
Sie: Neulich in Mailand war ich enttäuscht. Die Stadt scheint ihre besten Zeiten auch hinter sich zu haben.
Er: Ja, an vielen Ecken Verfall und Schmutz. Direkt an den Kulturstätten. Das war vor einem Jahr noch anders.
Sie: Du sagst es! Das ist geschmacklos. Ich habe kein gutes Gefühl, was die Zukunft Italiens angeht…

— Bitteschön!
Sie: Danke. Auf das schöne Leben!
Er: Cin cin, meine Liebe! … Hm, im Abgang leicht bitter. Da hätte ich ja gleich ein Tonic Water nehmen können.
Sie: Mein Prosecco ist fein.
Er: Das ist natürlich auch ein Sargnagel für ein Restaurant, wenn die Karte nie wechselt.
Sie: Wirkt leider sehr vertraut.
Er: Für Leute wie Wolfram ist so etwas skandalös.
Sie: Ach ja, Wolfram…
Er: Andererseits ist das hier ein Hotel, da kommen die Gäste selten ein zweites Mal.
Sie: Wolfram ging zwei Jahre lang immer in dasselbe Restaurant, aß immer dasselbe beschissene Fleisch. Es war meist furchtbar zäh!
Er: Wolfram ist aber auch ein Arschloch.

— Was darf es denn zu Essen sein?
Er: Danke, wir essen nichts.
Sie: Die Rechnung bitte!

©Martin Bensen

Kompiliert (und fiktiv ergänzt) aus einem nicht zu überhörenden Gespräch am Nebentisch – im Restaurant eines ganz hervorragenden Hotels. Der deftige Teil des Dialogs ist der authentische…

Beziehungsspion

Lange starrt er nur
Auf sein Handy
Oder in die Luft
Auf jeden Fall an ihr vorbei

Auch sie starrt nur
An ihm vorbei
Irgendwo hin
Auf keinen Fall jedoch ihn an

Dann stehen sie auf
Und gehen stumm
Hand in Hand
Lassen den Beziehungsspion ratlos zurück

©Martin Bensen