Chat mit dem Doc

Neulich in einem der unzähligen medizinischen Foren (verfremdet, abgewandelt und „verdichtet“):

Customer – 23:06 Uhr
Oh nein, mir ist ganz übel. Mein Herz hat Aussetzer!
Hilfe!
Doc?

Webdoctor – 23:14 Uhr
Das denken Sie nur.

Customer – 23:14 Uhr
Nein
Echt jetzt

Webdoctor – 23:15 Uhr
Wir beide wissen, dass es nicht so ist.

Customer – 23:15 Uhr
Aber ich spüre es doch, es tut weh

Webdoctor – 23:16 Uhr
Gehen Sie ans Fenster. Öffnen Sie es. Atmen Sie ruhig ein und aus. Sie werden sehen: Es verschwindet.

Customer – 23:23 Uhr
Danke, Doc! Jetzt ist es schon besser.

Webdoctor – 23:25 Uhr
Sehen Sie. Und das machen Sie jetzt immer, wenn Sie das Gefühl bekommen.

Customer – 23:26 Uhr
Ja, sehr gut. Danke nochmal. Es geht mir jetzt wieder viel besser. Aber da ist doch trotzdem was, oder?

Webdoctor – 23:32 Uhr
Das haben wir hier doch schon x-mal besprochen. Das, was Sie haben, ist nicht schlimm! Es ist nur in Ihrem Kopf. Wischen Sie diese Gedanken beiseite, lenken Sie sich ab. Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen?! Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe noch andere Patienten…

Customer – 23:32 Uhr
Ok ok.
Ich werde nicht sterben?

Webdoctor – 23:33 Uhr
Nicht jetzt. Nicht daran.

Customer – 23:34 Uhr
Danke. Sie haben mir sehr geholfen.

Webdoctor – 23:35 Uhr
Wie immer. Gute Nacht.

Customer – 23:36 Uhr
Gute Nacht. Und danke.

Customer – 23:57 Uhr
Scheiße. Jetzt geht das schon wieder los. Oh nein.
Doc?

Webdoctor – 23:59 Uhr
Gute Nacht!

Unter Leuten (in der Regionalbahn)

Die Frau mit dem Kopftuch setzt sich leise ans Fenster auf der anderen Seite des Ganges, sie hat den neuen Bestseller von Juli Zeh dabei und vertieft sich sogleich in das Buch.

Zwei italienisch sprechende Teenagerinnen kommen in mein Abteil, setzen sich an den Tisch eine Reihe vor mir und quatschen ohne Unterlass, während sie ihre Gummis aus den Haaren ziehen und sie wieder neu einfädeln. Die eine reizt das Klischee voll aus und lässt eine Kaugummiblase zwischen ihren knallrot geschminken Lippen platzen.

Ein sichtlich müder Radfahrer in gelbem Trikot stellt sein Fahrrad vorne an die seitliche Sitzreihe gegenüber der Tür und nimmt an dem anderen Tisch Platz. Er muss noch einmal aufstehen, um eine rabiate ältere Frau mit Bürstenfrisur und unfreundlichem Gesichtsausdruck durchzulassen, die mit dem Finger wortlos auf den Fensterplatz gedeutet hat. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt schon seit einiger Zeit völlig unauffällig eine Frau mittleren Alters, die in einer osteuropäischen Sprache leise in ihr Handy spricht.

Eine punkige junge Frau kommt mit einem Schlaks ins Abteil und setzt sich mit ihm auf die seitlichen Sitze direkt neben der Eingangstür. Unvermittelt schreit sie los: „OhKacke! JetzthabichdochglattdenKuchenvergessenichsolltedemKevindocheinenbacken – aberegalkriegterhaltkeinenderArsch. Mann ej…“

Ein dicker Mann mit rötlichen Haaren ohne Hals setzt sich rülpsend zwei Sitze weiter und beobachtet das schräge Paar stumm von der Seite. Er sieht aus wie Peter Griffin aus „Family Guy“. Aus seinem schmutzig-grauen Rucksack zieht er eine messingfarbene Halbliterdose Discounterbier, öffnet sie, leckt den Schaum vom Daumen und trinkt die Dose in einem Zug leer. Dann rülpst er herzhaft, reibt sich seinen Kugelbauch und schaut stumpfsinnig ins Leere. An der nächsten Haltestelle zieht er eine weitere Dose hervor, diesmal trinkt er mit kleineren Schlucken. Er wirkt zufrieden, in sich ruhend. Auf seine Weise genauso wie die Frau mit dem Kopftuch, die ganz in ihr Buch vertieft ist.

Der Schaffner kommt, quetscht ein unverständliches Kommando heraus. Egal, die Fahrgäste wissen, was der Uniformierte will. Vielleicht nicht ganz, denn jetzt verlangt der beschnauzte Machthaber zusätzlich zu meinem ICE-Ticket und meiner Bahncard auch noch einen „Lichtbildausweis“. Überflüssig zu erwähnen, dass der Mann von kleiner Statur ist…

Zwei weitere Dosen später, an der Haltestelle Frankenthal, steigt Peter Griffin aus. Mit ihm die meisten lärmenden Gäste. Der dicke Mann folgt ihnen nicht zur Treppe. Er steuert auf den gläsernen Aufzug zu, drückt den Knopf und holt eine Packung Zigaretten aus dem Rucksack. Der Aufzug kommt, Peter Griffin zündet sich eine an und stößt mit seinem Kugelbauch gegen die Tür, die sich nur langsam öffnet. Es dauert, bis sich die Kabine in Bewegung setzt, schon reichlich mit blauem Dunst gefüllt.

Nach einer Stunde nähert sich der Zug in aller Ruhe der Endstation Mannheim. Die Frau mit dem Kopftuch klappt ihr Buch zu und hält es respektvoll in der Hand. Erst als die Bahn steht, erhebt sie sich von ihrem Sitz und geht auf leisen Sohlen Richtung Ausgang.

Ich genieße es, als letzter auf den sonnigen Bahnsteig zu treten und freue mich auf den ICE nach Hause.

Wenn sich Schnellzüge verspäten, und das tun sie oft in Mainz, landet man schon mal in den Bummelzügen der Regionalbahn. In ihnen ist man wahrhaft „unter Leuten“…

©Martin Bensen

Manko Mann*

An Jahren alt, an Haaren karg
An Kilos schwer, an Fehlern stark
Nix zu sagen, nix zu bieten
Nix als Pleiten, nix als Nieten

Hey, das ficht mich gar nicht an
Denn, YEAH, ich bin der Manko Mann
Manko Mann, Manko Mann
Der hat Spaß, der hat Fun

usw. …

Vielleicht wird das ja noch ein Song. Vielleicht… Vielleicht auch nicht… Eher nicht. 😉

*Neulich im Chat mit einer lieben Zeitgenossin, lustige kleine Tippfehler-Variante von „Mannomann“, sozusagen ein Manko. Danko, äh… danke!

©Martin Bensen

Busy & Cool

Kaum sitzt sie
Schlägt sie ein
Bein übers andere
Greift zum Handy
Legt es weg
Und quatscht los
Kaum dass ihre Kollegin sich ihr gegenüber setzt
Beißt ins Brötchen
Kaut und quatscht
Schaut mal links
Und mal rechts
Runter und rauf
Beißt kaut quatscht
Während die Kollegin ein Brötchen schmiert
Und als Proviant in eine Serviette schlägt

Menschen auf Geschäftsreisen, Mai 2018

©Martin Bensen

Abend im Kiez

Der Tisch neben der Eingangstür, an dem ich Platz genommen habe, wackelt. Das Messer sieht benutzt aus, ich tausche es verstohlen gegen das gegenüberliegende aus. Auch das putze ich heimlich mit der dünnen Papierserviette unter der weißen Tischdecke aus dickem, gestärktem Stoff.

Hinter dem piefigen Tresen zapft ein stämmiger, vollbärtiger junger Mann mit kurzgeschorenem Haar Bier. Ein anderer, ganz ähnlicher Mann kommt aus der Küche, gesellt sich zu ihm, spricht ihn auf türkisch an, blickt jetzt unter den tiefhängenden Biergläsern hindurch in den kleinen Gastraum, sieht mich, kommt bedächtig mit der Speisekarte an meinen Tisch.

Ich bestelle ein großes Pils vom Fass. Der andere Bärtige hat mitgehört, nickt zufrieden, zapft und dreht nebenbei den Sender mit italienischen Schlagern lauter.

Ein pummeliges Mädchen kommt aus der Küche, schaut gelangweilt in den Gastraum und zapft sich hinter dem Tresen eine Cola.

Ein junger hagerer Mann öffnet die Eingangstür, geht zielstrebig auf einen freien Tisch zu, setzt sich mit dem Rücken zum Tresen. Noch bevor er die Karte bekommt, ertönt eine Schlagermelodie auf seinem Handy, der Mann wartet, der Kellner zögert, legt die Karte neben ihm ab, jetzt nimmt der Hagere das Gespräch an, beginnt sofort zu reden, sein rechtes Bein hebt und senkt sich in schnellem Takt.

Mein Pils ist da, der Kellner lächelt, der Barmann zapft, der Hagere redet, das Mädchen holt einen Schminkspiegel hervor, zieht sich die Lippen nach und verschwindet mit einer Handtasche in der Küche.

Durch die Schwingtür kommt ein weiterer Kellner, dünn und ohne Bart, jongliert drei Teller, eilt damit in den zweiten Gastraum nebenan.

Im Fernseher an der Wand zum Übergang ist die Aufstellung zum Champions League Spiel AS Rom – FC Liverpool zu sehen. Keiner schaut zu.

Ein dickbauchiger älterer Mann kommt aus der Küche, stellt sich in Chefpose vor den Tresen, lässt seinen Blick schweifen und winkt einem älteren Ehepaar am Tisch hinter mir zu. Das Ehepaar fühlt sich geehrt, will aber jetzt zahlen. Der Chef nickt dem Kellner zu und verschwindet Richtung Nebenraum.

Der Hagere redet immer noch, der dünne Kellner deckt neben ihm schon zwei Tische ab.

Die Tür öffnet sich, ein blöd grinsender Mann mit Säufergesicht tritt ein, geht ohne Umschweife in den Nebenraum.

Eine Schülergruppe kommt von nebenan und verlässt lärmend das Lokal.

Ich zahle auch, bin müde.

Aber die Pizza war hervorragend.

©Martin Bensen

Antrag

… möchte ich Sie bitten, mir angelegentlich in besagter Herzensangelegenheit beigefügten Antrag für eine sachgerechte Prüfung des Sachverhalts zukommen zu lassen. Bei Vorliegen einer nachweislichen Herzenssache wird binnen angemessener Frist ein positiver Bescheid ergehen.

gez.
Amt für Herzensangelegenheiten
Sachbearbeiterin

 

„Herzensangelegenheiten sind immer irgendwie heikel und Veränderungen unterworfen.“
Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore, Bd. 2: Eine Metapher wandelt sich. Roman. Dumont 2018.

Der zitierte Satz wurde so von Ursula Gräfe (sicher fachkundig) übersetzt. Murakami verwendet „Herzensangelegenheiten“ bei der Darstellung einer sich anbahnenden Beziehung zwischen zwei Nebenfiguren. Erzählerisch passt es, denn das Wort ist unmittelbar distanzierend, sachlich, unromantisch. Die meisten „Angelegenheiten“ möchte man ja gemeinhin gerne erledigen oder vergessen…