So ein Augenblick

Das ist so ein Augenblick
Für den ich mich schäme
Weitere Worte sind nach
Dem Gesagten sinnlos

Nach so einem Augenblick
Steh ich fassungslos vor dir
Und dem was du mir und
Nur mir da anvertrautest

So ein Augenblick vergeht
Doch deine tiefe Trauer nicht
Und mein Bedauern diesen
Augenblick verpasst zu haben

©Martin Bensen

Hey du (an der Haltestelle)

>> Hey du, schau nicht weg! Lass dich anlächeln. Ja, du! <<

>> Meint sie mich? Sicher nicht… Oder doch? Doch, sie lächelt mich an! <<

>> Jetzt fährt die Bahn weiter. Ciao, du Augenblicksmensch! Das Lächeln war für dich… <<

>> Schade, sie meinte wirklich mich. Danke, hat gutgetan. Hätte es dir gern gesagt. Mit meinem Lächeln… <<

 

Wahre Stärke

Mit überkreuzten Händen greift er sein rotes Polohemd unten am Saum und zieht es mit einer eleganten Bewegung über den Kopf aus. Ein Traum von einem Mann steht da, ein paar Meter von meiner Liege entfernt. Sein Oberkörper hatte schon unter dem Shirt einiges versprochen, doch erst jetzt entfaltet sich seine ganze Pracht, gleichmäßig gebräunt glänzt er in der Sonne. Keine Frage, dieser Mann ist der unbestrittene Blickfang auf dem Pooldeck unseres Kreuzfahrtschiffes. Jeder seiner definierten Muskelstränge scheint ein Eigenleben zu führen als er sich zum Liegestuhl runterbeugt, sein Handtuch ausbreitet und dann mit purer Leichtigkeit darauf Platz nimmt. Zugegeben: Ich werde neidisch, bin zwar um einiges älter als dieser gerade mal Dreißigjährige, doch trotz teils intensiven Trainings nie auch nur in die Nähe eines solch makellosen, wohlgeformten Bodys gelangt. Andererseits: mir geht das eitle Gehabe dieser selbstverliebten Fitness-Heinis ziemlich auf den Geist. Auch der hier ist nicht anders. Was macht er? Schaut die ganze Zeit an sich entlang, mustert jede einzelne Partie seines Körpers, der wie in Bronze gegossen und glatt poliert dort liegt, entspannt und doch voller Kraft, nur scheinbar ruhend, eher lauernd und stets zum Angriff bereit.

Ich lege mein Buch zur Seite, er hat schon mal gar keins dabei, ist sich wohl selbst genug, vielleicht eben nur Körper und wenig Geist, denke ich, drehe meinen Kopf etwas von ihm weg, um durch meine Sonnenbrille dennoch schräg weiter zu ihm hinüber zu linsen. Seine Außenwelt scheint er auch nicht wahrzunehmen, ist offenbar ganz mit seinem Körper beschäftigt. Jetzt greift er zur Sonnenmilch, begibt sich mühelos in die Sitzposition und beginnt sich von den Füßen aufwärts einzucremen, langsam und behutsam, fast zärtlich. Du Narziss, kommt es mir fast zu laut über die Lippen. Er schaut kurz auf – hat er was gehört? Seine Augen haben einen stechenden Blick, wie die eines Raubvogels, auch sein kurz geschnittenes Haar sträubt sich, lässt ihn gefährlich aussehen. Tja, so geht Selbstbewusstsein – beneidenswert…

Mir wird’s zu heiß in der Sonne und ich bin auch genervt von dem Typen. Schwerfällig und mit schmerzendem Rücken schäle ich mich aus der Liege. Kaum auf den Beinen wird mir schwarz vor Augen, ich taumle leicht, da fasst eine starke Hand nach meinem Unterarm und stützt mich. Verdutzt blicke ich in das freundlich lächelnde Gesicht des Adonis’, der mich nun loslässt, mir partnerschaftlich auf die Schulter klopft und auch noch einen schönen Tag wünscht. Kleinlaut begebe ich mich in meine Kabine, falle in mein Bett und ergehe mich in Selbstmitleid.

Abends zum „Sailaway“ finde ich mich, wie die vielen anderen Gäste an Bord, wieder auf dem Pooldeck ein. Alle sind an diesem tropischen Abend sommerlich luftig gekleidet, die Männer ausnahmslos in langen Hosen, denn Bermudas werden selbst in den Gewässern der Karibik bei den Abendveranstaltungen nicht gern gesehen. Das Nickerchen in der Kabine hat gut getan und nach einer warmen Dusche bin ich für einen vergnüglichen Abend bereit. Während das Schiff langsam ablegt und der Enya-Song erklingt, betrachte ich die anderen Schaulustigen genauer. Und siehe da: auch mein Adonis ist wieder da. Er steht unweit meines Aussichtspunktes an der Reling, doch diesmal ist er nicht allein. An seiner Seite erkenne ich eine zierliche Frau mit langgelocktem grau-blondem Haar, ich schätze sie auf Mitte vierzig, sie kann also kaum seine Mutter sein, auch nicht seine Schwester. So wie die Zwei da stehen, scheinen sie ein Paar zu sein. Er hat seinen Arm um ihre Hüfte gelegt, beide schauen abwechselnd Richtung Hafen und dann wieder einander an. Er hält ein Sektglas in der Hand, sein Arm ist angewinkelt und sein markanter Trizeps zeigt in meine Richtung. Der starke Mann reicht der Frau das Glas, nein, er hält es weiter fest, gibt ihr daraus zu trinken. Die Arme der Frau hängen reglos an ihr herunter.

In diesem Moment weht ein Windstoß eine lange Strähne in ihr Gesicht. Adonis zieht das Glas zurück, stellt es auf die breite Reling und streicht zärtlich ihr lockiges Haar zurück. Ganz langsam, ohne Eile und mit der Souveränität eines starken Körpers. Die Muskeln über seinen markanten Wangenknochen bewegen sich als er sich leicht zu ihr herunterbeugt, seine Hand ihren Kopf seitlich stützt, während seine andere ihre Hüfte etwas fester umfasst. Dann küsst er sie, behutsam, zärtlich und voller Liebe. Einen Moment noch verharren ihre Gesichter ganz nah beieinander, schließlich greift der Mann erneut zum Glas und setzt es der Frau vorsichtig an den Mund. Sie nimmt einen Schluck und beide lächeln sich an. Mit einem sanften Ruck zieht er sie an sich heran, wendet sich zur Seite, drückt sie dabei eng an seinen Körper. Werden sie tanzen? Nein, jetzt stehen sie nebeneinander, eine Vierteldrehung weg von der Reling. Wie auf Kommando setzen beide gleichzeitig einen Schritt nach vorne, dann einen zweiten, um nun ganz langsam von Deck zu gehen. Der starke Mann – und seine kranke Frau…

Fassungslos stehe ich da, ein Kellner nimmt das halb volle Sektglas von der Reeling. Nur ganz allmählich realisiere ich, dass wir den Hafen inzwischen verlassen haben und jetzt die offene See ansteuern. Das Schiff beginnt bereits etwas zu schwanken, ganz automatisch kehrt der leichte Schwindel zurück. Vorsichtig begebe ich mich ins Schiffsinnere, fahre wie betäubt den Aufzug hinunter auf mein Deck. In meiner Kabine angekommen, werfe ich mich auf mein Bett, höre wie von Ferne das dumpfe Motorengeräusch, das Schäumen des aufgewühlten Meerwassers unter meinem Balkon. Und noch ehe mich das gleichmäßige Schwanken ein weiteres Mal in den Schlaf wiegen wird, erfassen mich Scham und Wut über mich selbst, rinnen Tränen über mein Gesicht.

Karibik, Januar 2018

©Martin Bensen