Dein Schwan

Zwei Ehepaare im fortgeschrittenen Rentenalter sitzen beim Hotelfrühstück am See. Gedämpfte Gespräche, Hüsteln hier und da, ein tiefes Räuspern des einen Herrn.

Der andere Herr stößt seine Dame an, deutet auf den See.
Sagt der eine vernehmlich: »Dein Schwan sitzt neben dir.«

©Martin Bensen

Andockmanöver

Gut, dass er drüben nicht wohnen muss. Dieser Verhau von einem Balkon! Als wäre er eine Müllhalde. Nur leider muss er täglich draufgucken, kommt kaum daran vorbei, weil die Häuser so dicht stehen, gerade mal eine schmale Schneise lassen für einen seitlichen Blick auf etwas Grün, den alten Baum, der schon im August braun wird. Er gehört zum nahen Park, den er das letzte Mal vor einem Jahr besucht hatte – damals schon kurzatmig und in Begleitung eines Betreuers. Weiterlesen

Requiem „Im Dorfe“

Zusammengesunken sitzen sie
Und bestatten wieder einen
Aus ihren Reihen

Zwei Kirchenbänke reichen aus
Es sind nicht mehr so viele
Zum Trauern da

In der Luft ein Hauch von Leben
Im Stoff der Nachklang süßen Dufts
Aus besseren Zeiten

Aus dem Holz der alten Bänke
Weicht Muff von schwerem Balsam
Wie manche Flatulenz

Zum Himmel stinken tiefe Seufzer
Von halb verwestem Bratenfleisch
In fauligen Gebissen

Asche zu Asche Staub zu Staub
Sehet nur ihr alle seid des Todes
Wie der im Sarg

Blutleer aber voll von Ehrfurcht
Stehen sie schwankend vor dem Grab
Dem schwarzen Loch des Lebens

©Martin Bensen

Endstation Bäckertheke

Die Tasse längst geleert
Auf dem Teller noch
Ein Bissen zum Bleiben
Bis die Theke schließt

So sitzen drei Gestalten
Je an einem Bistrotisch
In der dunklen Nische
Gleich an der Besenkammer

Vorn im hellen Licht
Regt sich noch Broterwerb
Das Leben hier macht
Dort den Winkel tot

Macht sie zu Zombies
Die nichts mehr erwarten
Oder bestenfalls noch das
Was vom Tage übrigbleibt

©Martin Bensen

Alt werden

Ob ich eine Krankenfahrt gebucht habe, will der Taxifahrer wissen, sieht dann, wie ich zu meinem Auto gehe, dreht sich wieder zum Eingang des Dialysezentrums, das gleich neben dem Supermarkt liegt.

Ich verneine noch blöd, stutze, sehe mich plötzlich mit den Augen des Fahrers, wie ich weißhaariger Mittfünfziger nach vorne gebeugt, weil auf mein ihm verborgenes Handy blickend, mehr schlurfe als gehe.

So hielt er, der deutlich Ältere, mich wohl für älter als ich bin, vielleicht für verwirrt, nicht mehr auf Ballhöhe, für einen seiner üblichen Fahrgäste, meist hochbetagt, hinfällig, auf Hilfe angewiesen.

Alt bist du – du bist alt, mit diesem Mantra fahre ich heim, sehe unterwegs einen kurzatmigen Alten an der Hauswand lehnen, einen spindeldürren Grauschopf humpelnd joggen.

An der roten Ampel sitzt im Auto neben mir ein Fahrer mit lichtem Haar, der mit leerem Blick nach vorne starrt, vielleicht wie ich sinniert, was war, und schließlich lustlos weiterfährt.

©Martin Bensen

Ratlos

Mit hilflos winkenden Armen
Steht der junge Mann vor ihm
Dem weisen Vater der ihm stets
Ein wertvoller Ratgeber war

Ängstlich schier verzweifelt
Fleht der Junge den Alten an
Doch der steht starr und ratlos>
Schaut schweigend in ein Nichts

So verstummt der Junge auch
Lässt seine Arme mutlos sinken
Hört in dieser totenstillen Nacht
All das Gute wie Blut verrinnen

©Martin Bensen

Alt

Kennst du diese alten Männer, die einsam ihre Runden drehen, nach dem rechten sehen, in ihrem Revier, ihrer kleinen, immer kleiner werdenden Welt, mit Stock oder ohne, manche tief gebeugt, langsamen Schrittes, die Sohlen über das Pflaster schleifend? Haben die alten Männer in unserer Stadt nicht viel mehr zu sehen als auf dem Land, wo es nicht mal mehr einen Dorfkern, einen Brunnen, Bänke, eine schattige Linde gibt, wo selbst ein Hund nichts mehr zum Schnüffeln findet?

Vielleicht waren da zu viele Penner gewesen, Alkoholiker, schräge Alte, die das Dorfbild verschandelt hatten. Dann lieber sauber und seelenlos, ein Altenheim am Ortsrand, ein gutes Gewissen. In der Stadt haben sich Fassaden und Plätze herausgeputzt. Edler Glanz blendet die Augen, Wind pfeift um die Ecken, macht kleine Wirbelstürmchen mit dem Unrat der Nacht, kein Baum spendet Schatten, verzinkte Gittersitze voller Taubendreck, die Betonstufen voller Skater, die ihre Bretter abwetzen, für etwas Leben sorgen.

Kein Platz für alte Männer. Was wollen sie auch hier, warum sind sie nicht bei ihren Frauen, immer allein unterwegs, wieso verbünden sich sie sich nicht, unterhalten sich wenigstens?

©Martin Bensen

Hast du diesen alten Mann gesehen, der an der vielbefahrenen Straße entlang schlurft, die Hände auf dem krummen Rücken verschränkt, in speckiger Jacke und schlabbrig-weiter Cordhose, eine Schiebermütze auf dem Kopf? Siehst du sein gelbes, faltiges Gesicht, seine starren Augen? Jetzt bleibt er stehen, dreht sich steif zur Seite, starrt lange zur anderen Straßenseite. Was hat er entdeckt? Schaust du auch hinüber? Siehst du etwas? Nein, du siehst nichts. Weil dort nichts ist. Was sieht dieser alte Mann also? Ist er es nur leid auf die kaputten Pflastersteine zu blicken? Braucht er eine Verschnaufpause, die er mit einem scheinbaren Anlass, einer „wichtigen Beobachtung“ kaschiert?

Siehst du ihn wieder weitertrotten, wie er konzentriert den einen Fuß vor den anderen setzt, nur langsam wieder in Gang kommt? Du hast keine Zeit mehr, dich mit derart unwichtigen Fragen abzugeben? Du hast keine Zeit für sowas? Hast überhaupt keine Zeit? Und er? Wieviel hat er wohl noch? Ist dir egal, sagst du? Willst niemals so werden wie dieser alte Mann? Wirst vielleicht auch gar nicht so alt werden. Doch das hörst du nicht mehr. Keine Zeit…