Wind, meine Liebe

Nichts erfrischt, nichts tröstet und beglückt mich so unmittelbar wie der auffrischende Wind, besonders im Sommer, wenn er in belaubte Bäume fährt, ihre Kronen bewegt, sie belebt und in ihren Blättern ein vielstimmiges Rascheln und Rauschen erzeugt, mal säuselnd, mal heulend, mal zart, mal hart und mal schmeichelnd, mal reißend.
Der Wind macht eine eigene Musik – eine, die unmittelbar meine Seele anstimmt, sie schwingen lässt wie die Baumkronen in der Natur. Vielleicht hat meine Seele auch Blätter, die mit sich spielen lassen, solange es der Wind gut meint, andernfalls zittern sie wie Espenlaub und mein Körper gleich mit.
Tausende Härchen heben sich im Wind, kräuseln meine Haut, wenn er darüber fährt, mich streichelt, auch mein Kopfhaar, wie ein sinnlicher, oft wilder Liebhaber. Wind ist maskulin, auch in wohlklingenden Sprachen: le vent, il vento, el viento… Doch weil ich so bin, wie ich bin, stelle ich ihn mir lieber als Frau vor: die Wind, die wilde, die zärtliche – erotische.
Dann schließe ich die Augen und lasse alles geschehen, selbst die Möglichkeit zu sterben. An meinem letzten Tag soll Wind sein, in meinen Haaren, auf meiner Haut, in meiner Seele, die sie dann forttrüge, und in dem Baum zu meinem Gedenken, in dem sie weiter spielt und singt. Wind, meine Liebe.

©Martin Bensen

Sei schön

Die Frau mit dem sinnlichen Mund
Sie weiß darum
Aber sie ist ganz offensichtlich
Nicht stolz darauf
Hat ihre großen vollen Lippen
Wohl immer gehasst
Warum sonst zieht sie diese Grimassen?
Ihre Mimik ist ständig in Arbeit
Kommt nie zum Stillstand
Denn der mündet womöglich
In einen magischen Moment
Den es offenbar zu verhindern gilt
Weil vielleicht schon mal ein Betrachter
Ein fremder Gesprächspartner
Ihren Ausdruck missverstand
Wenn sie spricht
Küssen ihre Lippen die Luft
Wenn sie schweigt
Schließt sie ihren Mund wie in Panik
Presst die Lippen aufeinander
Lässt sie wieder locker
Beobachtet wachsam ihre Umgebung
Weicht aber jedem Blick aus
Dann schaut sie nach unten
Zieht die Mundwinkel hoch
Macht so kokett ein Duckface
Weiß sie das nicht?
Als sich ein Spatz vor ihr niederlässt
Muss sie lachen
Da löst sich ihre Spannung
Und sie ist für einen magischen Moment
Ohne Absicht ganz sie selbst
Bleib so
Schöne Frau
Möchte ich ihr zurufen
Sei mutig
Sei schön!

©Martin Bensen

Frühling

Merkst du wie dein Herz sich öffnet wenn
Deine Füße durch saftige Wiesen schmatzen
Deine Augen gierig alle Farben verschlingen
Deine Nase bebend Frühling saugt

Spürst du was in dir passiert wenn
Pflanzen lustvoll ihre Knospen öffnen
In alle Wesen kraftvoll Saft einschießt
Die Welt wie von Sinnen sinnlich wird

©Martin Bensen

Wenn du gehst

Wie oft wird es mich an diesen Platz ziehen, genau dahin, wo wir gerade sind? Jetzt hältst du mich noch, streichst mit deinem Daumen zärtlich, fast unmerklich über meine Hand im Sand. Obwohl ich den Blick abgewendet habe, spüre ich deinen weiter auf mir ruhen. Das letzte Mal, als ich dich angesehen habe, war die Farbe deiner Augen genau die des Sees, an dem wir gerade sitzen – sie sind eins geworden. Jetzt schaue ich auf das Wasser, versuche mich einzuschwören auf die Zeit ohne dich, mir einzureden, dass die tanzenden Lichtreflexe auf der blau-grünen Oberfläche deine zauberhaften, mal träumenden, mal lustvollen Augen sein werden. Dass die Ufergrashalme, die meine entblößten Waden umschmeicheln, deine zärtlichen Finger seien, die mich heute ein letztes Mal und dann auf diese Weise immer streicheln werden. Dein Haar, das wie ein anmutig wogendes Kornfeld die milden Sonnenstrahlen auffängt, es wird auch dann noch nach Sommer riechen, wenn du fort bist, wenn nur noch das fruchtbare Hinterland seine feinen Düfte bis hierher schickt, die ich dann wohl unersättlich tief in mich einsaugen werde, so wie jetzt ein letztes Mal den unverwechselbaren, betörenden Geruch deiner Haut. Deine Lippen, die meine noch einmal berühren, ganz behutsam, nichts mehr fordern, sich langsam lösen, den Abschied besiegeln, es werden nur noch meine sein, die den Hauch des Windes spüren, seine sanfte Brise schmecken, als wäre es dein Atem, der sich immer noch mit meinem vereint. Jetzt spüre ich das Gras an meinen Beinen, den Sand auf meiner Hand, den Duft von Heu in meiner Nase, den warmen Sommerwind auf meiner Haut, auf meinen Lippen den letzten Kuss, sehe das Blau des Sees – in meinen Augen verschwimmen. Jetzt bist du weg.

©Martin Bensen