Ausgerechnet im Supermarkt. Zwischen Frischeregal und Gewürzen. Im banalsten Moment trifft mich Trauer. Nein, nicht Trauer, eher ein Gefühl von Verlust, von Leere. Wie ein Schatten steht er da: ein Mann etwa so groß wie ich, aber mit einem fußballgroßen Bauch. Steht einfach nur da und starrt auf einen Stapel spanischer Dauerwurst. Oder eher hindurch. Wie abwesend. Ein Mann in Schwarz, ein schwarzer Mann. Einer, der auf den ersten, irritierenden Blick so aussieht wie einer, den ich kenne. Kannte. Er ist es nicht. Kann es gar nicht sein. Denn der, für den ich ihn in dieser Schrecksekunde hielt, ist tot.
Trauer
Hand in Hand
Jeden Stein, jede Pfütze, die der Regen in diesen Tagen immer wieder füllt, kennt er. Warum nur geht er trotzdem diesen Weg? Erst runter, recht steil sogar, dann oberhalb des Dorfes im Tal an den wenigen tristen Häusern in Hanglage vorbei, aus denen kein Leben dringt, kein Geräusch, einer Totensiedlung gleich, und wieder hoch über eine Kurve, den ganzen Weinberg in Serpentinen bis zu seinem Ziel ganz oben, das auch der Anfang ist. 4,6 Kilometer Bewegung und Draußensein, mehr aber auch nicht. Jeden Tag schließt sich der Kreis in seiner piekfeinen Siedlung, seinem abgehalfterten Haus, dem Schandfleck der Nachbarschaft. Nur heute ist etwas anders. Das ahnt er aber noch nicht.
Nicht so ewig
Mit jedem Fall von jähem Tod
Stirbt leise auch ein Stück in mir
In meiner selbstvergessenen Welt
Von sorglos-steter Wiederkehr
Doch mein Leben hält nicht still
Ich bin ja noch und brenne fort
Wie Sonne, Mond und Sterne
Nur bei weitem nicht so ewig
Traumgesichte (VI)
Endlich klappt es mit dem Laden. Lange hat eine Freundin von uns gesucht, gefeilscht und sich mit den Behörden herumgeschlagen. Heute sitzen wir zum ersten Mal in ihrer „Waffles Bakery“. Nein, nicht in dem neuen Lokal, sondern draußen. Es ist eine laue Nacht hier in Manhattan, die Außenbeleuchtung ist noch nicht installiert. Nur eine nackte Glühbirne hängt da, aber New York hat immer genügend Licht für alle. Weiterlesen
Würdelos
Es stirbt sich nicht schön
In so unwürdigen Zeiten
In denen lebendig zu sein
Allein schon trist erscheint
Und nicht einmal Trost
Und Trauer den Lebenden
Vergönnt ist wie den Toten
Die Ehre des letzten Geleits
Ausklang
Weihnachten ist rum. Silvester wird einsam. Das Draußen ist annähernd zum Drinnen geworden. Mehr noch als im Mai, als mir dieser Gedanke erstmals kam. Zum Jahresausklang ist vieles noch unglaublicher geworden, besonders im „Musterländle“. Baden-Württemberg macht dicht: Schon um acht Uhr abends werden wir eingesperrt, weggesperrt. Weiterlesen
Requiem „Im Dorfe“
Zusammengesunken sitzen sie
Und bestatten wieder einen
Aus ihren Reihen
Zwei Kirchenbänke reichen aus
Es sind nicht mehr so viele
Zum Trauern da
In der Luft ein Hauch von Leben
Im Stoff der Nachklang süßen Dufts
Aus besseren Zeiten
Aus dem Holz der alten Bänke
Weicht Muff von schwerem Balsam
Wie manche Flatulenz
Zum Himmel stinken tiefe Seufzer
Von halb verwestem Bratenfleisch
In fauligen Gebissen
Asche zu Asche Staub zu Staub
Sehet nur ihr alle seid des Todes
Wie der im Sarg
Blutleer aber voll von Ehrfurcht
Stehen sie schwankend vor dem Grab
Dem schwarzen Loch des Lebens
Romantik
Romantik ist ein Strohfeuer
Das mit seinem Rauch vergeht
Was bleibt ist leichte Asche
Zu grau für einen Trauerrand
Kennst du die Liebe
Kennst du die Liebe
Weißt du wie sie ist
Mal erwischt sie dich kalt
Zieht dir den Boden weg
Mal keimt sie zart in dir
Durchdringt dich ganz
Kennst du die Liebe
Weißt du wer gewinnt
Deine Seele heiß umgarnt
Dich froh erblühen lässt
Wohl dir wird sie erwidert
Doch wehe sie läuft leer
Kennst du die Liebe
Weißt du was dann ist
Sie schleicht sich fort
Weicht feige von dir
Lässt dich nackt zurück
Schutzlos und verletzt
Fort
So verlor ich dich
Aus den Augen
Aus dem Sinn
Verliere dich nun ganz
Alter Freund aus guten Tagen
So kommst du wieder
In meinen Sinn
In mein Herz
Lebst darin fort
Guter Freund aus alten Tagen
Wenn du gehst
Wie oft wird es mich an diesen Platz ziehen, genau dahin, wo wir gerade sind? Jetzt hältst du mich noch, streichst mit deinem Daumen zärtlich, fast unmerklich über meine Hand im Sand. Obwohl ich den Blick abgewendet habe, spüre ich deinen weiter auf mir ruhen. Das letzte Mal, als ich dich angesehen habe, war die Farbe deiner Augen genau die des Sees, an dem wir gerade sitzen – sie sind eins geworden. Jetzt schaue ich auf das Wasser, versuche mich einzuschwören auf die Zeit ohne dich, mir einzureden, dass die tanzenden Lichtreflexe auf der blau-grünen Oberfläche deine zauberhaften, mal träumenden, mal lustvollen Augen sein werden. Dass die Ufergrashalme, die meine entblößten Waden umschmeicheln, deine zärtlichen Finger seien, die mich heute ein letztes Mal und dann auf diese Weise immer streicheln werden. Dein Haar, das wie ein anmutig wogendes Kornfeld die milden Sonnenstrahlen auffängt, es wird auch dann noch nach Sommer riechen, wenn du fort bist, wenn nur noch das fruchtbare Hinterland seine feinen Düfte bis hierher schickt, die ich dann wohl unersättlich tief in mich einsaugen werde, so wie jetzt ein letztes Mal den unverwechselbaren, betörenden Geruch deiner Haut. Deine Lippen, die meine noch einmal berühren, ganz behutsam, nichts mehr fordern, sich langsam lösen, den Abschied besiegeln, es werden nur noch meine sein, die den Hauch des Windes spüren, seine sanfte Brise schmecken, als wäre es dein Atem, der sich immer noch mit meinem vereint. Jetzt spüre ich das Gras an meinen Beinen, den Sand auf meiner Hand, den Duft von Heu in meiner Nase, den warmen Sommerwind auf meiner Haut, auf meinen Lippen den letzten Kuss, sehe das Blau des Sees – in meinen Augen verschwimmen. Jetzt bist du weg.