On demand

„Darf ich fragen, ob es noch lange dauert?“ Peer erschrickt selbst über den ungehaltenen Ton in seiner Stimme. Weshalb regt er sich auf? Hat er nicht alle Zeit der Welt?
„Darf ich Sie noch einen Moment um Geduld bitten? Frau von Langenbach hat noch zu tun.“ Die Hausdienerin scheint Übung im Umgang mit Gästen wie ihm zu haben, so kühl und distanziert, wie sie ihn abfertigt. Berufserfahrung, denkt Peer und ist zugleich befremdet davon, dass es diesen Beruf noch gibt, sogar jene Uniform, die er eigentlich nur aus alten Filmen kennt oder vielleicht noch von Kellnerinnen in altmodischen Cafés. Überhaupt kommt ihm die Situation unwirklich vor, aber er hat es so gewollt. Wer kann schon behaupten, je in diesem Haus gewesen zu sein? Weiterlesen

Schweres Herz

Sie haben sich alle zurückgezogen. Seit Tagen – oder sind es Wochen? Eine gefühlte Ewigkeit hat der Besitzer des Herzens keinen Gast mehr zu sehen bekommen. Nur noch seine Frau ist an seiner Seite. Oder auch nicht. Sie hat sich verändert. Schleichend. Erst wich sie seinen Küssen aus, dann selbst kleinsten Berührungen, am Ende auch seiner puren Anwesenheit. Er zog es irgendwann vor, in der Lobby zu übernachten. Auf diese Weise ist er eigentlich nur noch im Dienst. Einen Portier hat er ja nicht mehr und auch das restliche Personal hat er irgendwann wegschicken müssen. Es gab ja nichts mehr zu tun. Auch nicht für ihn. Was machte er also hier? Weiterlesen

Traumgesichte: Hunde

Ich stehe auf einer Wiese, die Sonne scheint, alles wirkt friedlich. Kein Mensch ist hier unterwegs. Dann eine Bewegung am Horizont. Etwas nähert sich in der flirrenden Hitze. Ich stelle meine Augen scharf und sehe sie: Hunde. Große Hunde mit bedrohlichen Gesichtern. Sie sehen nicht aus wie Wölfe, aber sie wirken wie gefährliche Raubtiere. Weiterlesen

Verbrannt

„Ich lüge dich nicht an! Wie kommst du überhaupt darauf?“ Er hat das Messer, mit dem er eben noch den edlen Fisch für den Heiligen Abend filetiert hat, in die Spüle geworfen und schaut sie aufgebracht an. Sie hätten nicht schon so viel Wein trinken dürfen. Ein Schlückchen zum Kochen, dazu besinnliche Musik und im Kamin ein prasselndes Feuer – der Abend in ihrer einsamen Hütte hätte eigentlich nicht besser beginnen können. Weiterlesen

Einer von tausend

Ja, guck nur! Wenn du wüsstest, wie oft ich hier angestarrt werde. Im Grunde seid ihr alle gleich. Schwanzgesteuert. Seht den tiefen Ausschnitt meines Dirndls und schon geht euch einer ab. Wenn ihr überhaupt einen hochkriegt. Unter Alkohol sind die Augen meist größer als der Lümmel in eurer Hose. Unten hängt der kleine Mann, während sein Besitzer oben das Maul aufreißt. Und dann die Grapscher, ich erkenne euch gleich. Mit euren ungewaschenen Händen, euren geifernden Blicken aus Schweinsäuglein in fetten, roten Gesichtern. Am liebsten seid ihr mir bei Dienstschluss, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Wenn euch dann die Ordner unsanft nach draußen schubsen. Dann seid ihr harmlos, mit euch selbst beschäftigt und schwach. Ja, auch du bist ein Schlappschwanz, du Glotzer! Obwohl… Dein Blick hat was. Was warmes. Trinken liegt dir wohl auch nicht, nippst schon seit Stunden an deinem schalen Bier. Nun schau nicht so…

Jetzt hat sie reagiert! Oder, doch nicht? Hinter mir sind alle mit ihren Schlachtgesängen beschäftigt. Sie kann nur mich gemeint haben. Den ganzen Abend muss ich hier schon diese saudumme Musik ertragen, das Geschrei. Ja, auch meine Kumpels sind immer lauter geworden. Seit einer Weile stehen sie auf den Bänken und hopsen, gröhlen diese Dumpfbacken-Lieder. Ich sitze lieber und suche verzweifelt Rettung. Unsere Bedienung wäre eine. Obwohl ich diese Volksfest-Uniformen hasse, muss ich zugeben: ihr steht das Dirndl. Schöne Brüste hat sie darin. Ihr Gesicht ist hübsch, mit Lachfältchen um die Augen. Aber warum schaust du nur so geschäftig, so unnahbar. Hier gibt es auch nette Menschen. Mich zum Beispiel. Ich finde dich toll, würde dich gerne kennenlernen. Ich glaube, du bist was Besonderes. Gehörst hier genauso wenig hin wie ich. Wenn ich mich dir doch nur von meiner wahren Seite zeigen könnte – so wie ich wirklich bin…

Er wartet, hat extra getrödelt. Draußen ist es kalt. Seine Kumpels haben sich lallend verabschiedet. Sollte er nicht auch besser nach Hause gehen? Wenn die Tür an der Seite in den nächsten fünf Minuten nicht aufgeht, dann…

Sie macht heute früher Schluss, ihre Kolleginnen sind mit Aufräumen dran. Ist genug für heute. Ihre Beine schmerzen, ihr Nacken ist ganz steif vom vielen Krügeschleppen. Sie will nur noch nach Hause, öffnet die Seitentür…

Gerade schickt er sich an zu gehen, da öffnet sich die Tür. Sie stehen sich gegenüber. Zwei fremde Menschen in der stillgewordenen Nacht.

Sie: „Auch tausend Blicke lernen mich nicht besser kennen!“

Er: „Tausend Blicke sind Luxus, nur einer von dir macht mich reich.“

Sie geht auf ihn zu, schlingt sanft ihren Arm um seinen Hals und küsst ihn. Lange. Dann schmiegt sie sich an seine Seite. Er umfängt beschützend ihre Schulter. So gehen sie los. Und können ihr Glück nicht fassen.

©Martin Bensen

Das Bildnis der Donna

Novelle

© 2018 Martin Bensen

Prolog

Niemals hätte ich auf ihr Angebot eingehen dürfen. Sie war keine Touristin wie die vielen anderen Kunden, sondern eine waschechte Römerin. Eine wahrhaftige Schönheit unter dem Himmel, ihre Kleidung so erlesen und elegant, dass sie es mit Sicherheit nicht nötig hatte, zu den Straßenkünstlern auf die Piazza Navona zu kommen, um sich malen zu lassen. Hätte ich damals auch nur geahnt, wie verhängnisvoll diese Begegnung sein würde, ich hätte ihre Bitte ohne Zögern ausgeschlagen.  Weiterlesen