Still steht es da. Viel zu lange schon. Sie hat das Glas nicht ausgetrunken. Als käme sie gleich zurück. Doch sie kommt nicht zurück. Vorhin hat es in dem Glas noch geperlt. Kein stilles Wasser. Kein Stillleben. Die Gasperlen waren winzig, wären auf einem Ölgemälde schwer darstellbar gewesen. Vielleicht hätte ein begnadeter Maler das „Leben“, das Sich-Regende herbeigezaubert, ein Fotograf dafür das Licht geschickt ausgenutzt. Nichts davon käme mir in den Sinn. Das Glas ist schon halb Erinnerung. Ich werde es auskippen, spülen und in den Schrank stellen. Alle Spuren verwischen. Weiterlesen
altern
Alter Mann
Die Stadtbahn ist schon wieder zu voll. Viel zu voll für diese Zeit – für diese Zeiten. Da nützen auch keine Masken. Wie gut, dass ich bereits geimpft bin. Prio 2, Risikogruppe – die Zipperlein eben. Noch bin ich keine sechzig. Ein Jahr bleibt mir noch. Ein weiteres verlorenes Jahr? Ich gebe zu: Dieser runde Geburtstag ist eine Bank, eine Schlachtbank. Mit sechzig ist man alt. In zehn Monaten werde ich ein alter Mann sein. Endgültig. Unabänderlich. Die Grauzone bekommt ein neues Mitglied. Sieh dir das Gruselkabinett doch an: Wie Zombies sitzen sie da, stumm, ausdruckslos, ihre schlaffen Leiber nur in Bewegung durch die ruckelnde Bahn. Die Masken verbergen nur wenig von dem Elend. Die Bahn hält. Niemand steigt aus, eine alte Frau drängt herein. Meine Chance! Weiterlesen
Ergrauen
Siehst du die Gartenmöbel
Wie sie draußen verwittern
Einsam ergrauen
Hässlich werden
Alt und spröde
Nicht mehr gemocht
Schließlich ausgemustert
Aus dem Leben verbannt
Alt werden
Ob ich eine Krankenfahrt gebucht habe, will der Taxifahrer wissen, sieht dann, wie ich zu meinem Auto gehe, dreht sich wieder zum Eingang des Dialysezentrums, das gleich neben dem Supermarkt liegt.
Ich verneine noch blöd, stutze, sehe mich plötzlich mit den Augen des Fahrers, wie ich weißhaariger Mittfünfziger nach vorne gebeugt, weil auf mein ihm verborgenes Handy blickend, mehr schlurfe als gehe.
So hielt er, der deutlich Ältere, mich wohl für älter als ich bin, vielleicht für verwirrt, nicht mehr auf Ballhöhe, für einen seiner üblichen Fahrgäste, meist hochbetagt, hinfällig, auf Hilfe angewiesen.
Alt bist du – du bist alt, mit diesem Mantra fahre ich heim, sehe unterwegs einen kurzatmigen Alten an der Hauswand lehnen, einen spindeldürren Grauschopf humpelnd joggen.
An der roten Ampel sitzt im Auto neben mir ein Fahrer mit lichtem Haar, der mit leerem Blick nach vorne starrt, vielleicht wie ich sinniert, was war, und schließlich lustlos weiterfährt.
©Martin Bensen
Das dicke Ende
Fassungslos starrt sie auf ihn
Die Massen die er frisst
Agil und schlank ist sie
Wird ihn um Jahre überleben
Das weiß der Dicke auch
Doch es ist ihm wurscht
Sein fettes Herz schlägt eh
Schon lang nicht mehr für sie
©Martin Bensen
Altes Leben
Wenn das Tischgespräch verstummt
Wie nach Jahren immer öfter
Sitzen sie krumm und starren
Mehr ins Leere als aufs Leben
Pulen dann in Backenzähnen
Mit der Zunge ihren Speisen nach
Spucken unwillkürlich Bröckchen
Wenn das Tischgespräch erneut beginnt
Wir feiern
Wir feiern dich
Mein guter Freund
Diese Zeit kommt
Nicht mehr zurück
Wir feiern sie
Die schönen Tage
Die vergangen sind
Doch nicht vergessen
Wir feiern laut
Und träumen still
Beim dünnen Strahl
Am Urinal