Dein Liebesbrief

Dein Brief, dein Liebesbrief
Worte einer anderen Zeit
Verblasst ist diese Tinte
Angegraut wie das Papier

Ob ich den Brief kopiere?
Ihn scanne, digitalisiere?
Dann wäre er nicht mehr
Dein Brief, dein Liebesbrief

Ob ich mir die Worte merke?
Sie in mein Herz einschließe?
Wie damals, nicht so gierig
Als es von dieser Liebe brannte

Nur Narben sind geblieben
Wehmut nur wie kalter Rauch
Ein bloßes Echo unserer Liebe
Ein Ende, das den Anfang frisst

Deine Worte, deine lieben Worte
Verblassen doch wie Zaubertinte
Dein Brief, dein Liebesbrief
Vergeht. Wie das Leben. Die Liebe.

©Martin Bensen

Wei(na)ch(t)en

Fünf Tage schon. Jeden Tag zur selben Zeit. Pünktlich. Das war nicht leicht, denn er kann nicht einfach Feierabend machen, wann es ihm passt. Zweimal hat seine Abteilung spontan späte Meetings angesetzt. Er hat sich entschuldigen lassen. Das macht einen schlechten Eindruck. Aber er musste einfach die Straßenbahn um 17:02 Uhr erreichen. Ankunft Charlottenplatz um 17.25 Uhr. Dort wird die Frau einsteigen. Heute wird sie es schaffen und er wird sie endlich wiedersehen. Richtig sehen. Es kann gar nicht anders sein. Weiterlesen

Liebestöter

Ich stoße mein Messer
In dein Herz
Schäle Schicht für Schicht
Eitelkeit und Stolz hinweg
Verletzung und Enttäuschung
Stoße unter Tränen vor ins
– Nichts

Was hast du dir und mir getan
Fragst du
Verletzt, enttäuscht bist du
Durch mein eitles grobes Tun
Nackt und schutzlos welkt nun
Was warm umhüllt nur keimt
– Liebe

©Martin Bensen

Montpellier

(Ein Kapitel aus meinem neuen Romanprojekt,
das in den Achtzigern spielt)

»Warum hast du denn nicht angerufen, du Heiopei?« Rike trägt ihr Herz auf der Zunge wie viele aus dem Ruhrpott. Heiopei (ungefähr: Dummkopf oder Trottel) ist ein typischer Ausdruck von da. Rike benutzt ihn oft und gerne, und Tom hat gleich heimatliche Gefühle. Sie will ihn gar nicht loslassen, ihr Kopf liegt an seiner Brust, sein Rucksack zu seinen Füßen.
Sie stehen unter der hellen, nackten Glühbirne in der Wohnküche ihrer WG, halten sich in den Armen, als ob es nie eine »Sendepause« zwischen ihnen gegeben hätte und ein bisschen auch, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Er hat sie vermisst, ihr spitzbübisches Lächeln, ihren frechen Blick, ihre offenherzige Art, die ihm bei ihrer ersten Begegnung gleich aufgefallen sind. Das war im Oktober 1982. 

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Hand in Hand

Jeden Stein, jede Pfütze, die der Regen in diesen Tagen immer wieder füllt, kennt er. Warum nur geht er trotzdem diesen Weg? Erst runter, recht steil sogar, dann oberhalb des Dorfes im Tal an den wenigen tristen Häusern in Hanglage vorbei, aus denen kein Leben dringt, kein Geräusch, einer Totensiedlung gleich, und wieder hoch über eine Kurve, den ganzen Weinberg in Serpentinen bis zu seinem Ziel ganz oben, das auch der Anfang ist. 4,6 Kilometer Bewegung und Draußensein, mehr aber auch nicht. Jeden Tag schließt sich der Kreis in seiner piekfeinen Siedlung, seinem abgehalfterten Haus, dem Schandfleck der Nachbarschaft. Nur heute ist etwas anders. Das ahnt er aber noch nicht.

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Alleinbeteiligt

In einer Polizeimeldung lese ich wieder diesen merkwürdigen Begriff:

„Autofahrer kommt alleinbeteiligt von der Fahrbahn ab und überschlägt sich“.

Alleinbeteiligt. Ich verstehe natürlich, was gemeint ist, ahne, dass es bei dem seltsamen Adverb um eine juristische Kategorie geht: kein Fremdverschulden, keine weitere Person ist beteiligt. Aber wieso spricht man bei einem allein verursachten oder dem Einzelnen widerfahrenen Unfall überhaupt von beteiligt? Weiterlesen

Manchmal und immer

Manchmal bist du
Meine Biene
So emsig
Honigsüß

Manchmal bist du
Meine Maus
So putzig
Niedlich

Manchmal bist du
Meine Katze
So geschmeidig
Gefährlich

Manchmal bist du
Meine Venus
So anziehend
Abgrundtief

Immer bist du
Meine Liebste
So bezaubernd
Vertraut

©Martin Bensen

On demand

„Darf ich fragen, ob es noch lange dauert?“ Peer erschrickt selbst über den ungehaltenen Ton in seiner Stimme. Weshalb regt er sich auf? Hat er nicht alle Zeit der Welt?
„Darf ich Sie noch einen Moment um Geduld bitten? Frau von Langenbach hat noch zu tun.“ Die Hausdienerin scheint Übung im Umgang mit Gästen wie ihm zu haben, so kühl und distanziert, wie sie ihn abfertigt. Berufserfahrung, denkt Peer und ist zugleich befremdet davon, dass es diesen Beruf noch gibt, sogar jene Uniform, die er eigentlich nur aus alten Filmen kennt oder vielleicht noch von Kellnerinnen in altmodischen Cafés. Überhaupt kommt ihm die Situation unwirklich vor, aber er hat es so gewollt. Wer kann schon behaupten, je in diesem Haus gewesen zu sein? Weiterlesen

Verlassen

Was ich dir gab gibst du
Zurück wie eine alte Haut
Als wäre nur noch Last
Was uns einst fliegen ließ

Was du mal Liebe nanntest
Ist doch nicht raus aus mir
Prallt jetzt nur ab läuft leer
So wie alles und noch mehr

Wer lädt mich wieder auf
Die Welt die nur mit dir
Die beste aller möglichen
Nun jedoch unmöglich ist

©Martin Bensen