Deadline

Das hatte doch alles keinen Sinn. Trotzig wie ein Kind blieb er stehen und stampfte mit dem rechten Fuß auf. Er war verzweifelt. Egal in welche Richtung er ging: der Weg endete früher oder später im Nichts. Oder vielmehr im Dickicht eines dunklen Waldes. Nirgendwo war auch nur der Ansatz eines Lichts zu erkennen. Überall nur tiefe, schwarze Nacht. Wurde es noch mal irgendwann hell?
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Verbrannt

„Ich lüge dich nicht an! Wie kommst du überhaupt darauf?“ Er hat das Messer, mit dem er eben noch den edlen Fisch für den Heiligen Abend filetiert hat, in die Spüle geworfen und schaut sie aufgebracht an. Sie hätten nicht schon so viel Wein trinken dürfen. Ein Schlückchen zum Kochen, dazu besinnliche Musik und im Kamin ein prasselndes Feuer – der Abend in ihrer einsamen Hütte hätte eigentlich nicht besser beginnen können. Weiterlesen

Wiener Rooftop

Ach Schatzerl du auf dem Wiener Rooftop
Kommst mit den Sackerln vom Shoppen
Bist ziemlich fesch in dem Tiger-Tanktop
Kann keine der Ladies hier toppen

Ach Schatzerl du auf dem Wiener Rooftop
Trägst du dein Haar plötzlich offen
Die Goschn grellrot und die Sprüche salopp
So leiwand und doch so besoffen

Ach Schatzerl du auf dem Wiener Rooftop
Findest du keinen zum Poppen
Du strudelst dich ab und doch wirds ein Flop
Sei halt nicht deppert geh shoppen

©Martin Bensen

Einer von tausend

Ja, guck nur! Wenn du wüsstest, wie oft ich hier angestarrt werde. Im Grunde seid ihr alle gleich. Schwanzgesteuert. Seht den tiefen Ausschnitt meines Dirndls und schon geht euch einer ab. Wenn ihr überhaupt einen hochkriegt. Unter Alkohol sind die Augen meist größer als der Lümmel in eurer Hose. Unten hängt der kleine Mann, während sein Besitzer oben das Maul aufreißt. Und dann die Grapscher, ich erkenne euch gleich. Mit euren ungewaschenen Händen, euren geifernden Blicken aus Schweinsäuglein in fetten, roten Gesichtern. Am liebsten seid ihr mir bei Dienstschluss, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Wenn euch dann die Ordner unsanft nach draußen schubsen. Dann seid ihr harmlos, mit euch selbst beschäftigt und schwach. Ja, auch du bist ein Schlappschwanz, du Glotzer! Obwohl… Dein Blick hat was. Was warmes. Trinken liegt dir wohl auch nicht, nippst schon seit Stunden an deinem schalen Bier. Nun schau nicht so…

Jetzt hat sie reagiert! Oder, doch nicht? Hinter mir sind alle mit ihren Schlachtgesängen beschäftigt. Sie kann nur mich gemeint haben. Den ganzen Abend muss ich hier schon diese saudumme Musik ertragen, das Geschrei. Ja, auch meine Kumpels sind immer lauter geworden. Seit einer Weile stehen sie auf den Bänken und hopsen, gröhlen diese Dumpfbacken-Lieder. Ich sitze lieber und suche verzweifelt Rettung. Unsere Bedienung wäre eine. Obwohl ich diese Volksfest-Uniformen hasse, muss ich zugeben: ihr steht das Dirndl. Schöne Brüste hat sie darin. Ihr Gesicht ist hübsch, mit Lachfältchen um die Augen. Aber warum schaust du nur so geschäftig, so unnahbar. Hier gibt es auch nette Menschen. Mich zum Beispiel. Ich finde dich toll, würde dich gerne kennenlernen. Ich glaube, du bist was Besonderes. Gehörst hier genauso wenig hin wie ich. Wenn ich mich dir doch nur von meiner wahren Seite zeigen könnte – so wie ich wirklich bin…

Er wartet, hat extra getrödelt. Draußen ist es kalt. Seine Kumpels haben sich lallend verabschiedet. Sollte er nicht auch besser nach Hause gehen? Wenn die Tür an der Seite in den nächsten fünf Minuten nicht aufgeht, dann…

Sie macht heute früher Schluss, ihre Kolleginnen sind mit Aufräumen dran. Ist genug für heute. Ihre Beine schmerzen, ihr Nacken ist ganz steif vom vielen Krügeschleppen. Sie will nur noch nach Hause, öffnet die Seitentür…

Gerade schickt er sich an zu gehen, da öffnet sich die Tür. Sie stehen sich gegenüber. Zwei fremde Menschen in der stillgewordenen Nacht.

Sie: „Auch tausend Blicke lernen mich nicht besser kennen!“

Er: „Tausend Blicke sind Luxus, nur einer von dir macht mich reich.“

Sie geht auf ihn zu, schlingt sanft ihren Arm um seinen Hals und küsst ihn. Lange. Dann schmiegt sie sich an seine Seite. Er umfängt beschützend ihre Schulter. So gehen sie los. Und können ihr Glück nicht fassen.

©Martin Bensen