Endlich klappt es mit dem Laden. Lange hat eine Freundin von uns gesucht, gefeilscht und sich mit den Behörden herumgeschlagen. Heute sitzen wir zum ersten Mal in ihrer „Waffles Bakery“. Nein, nicht in dem neuen Lokal, sondern draußen. Es ist eine laue Nacht hier in Manhattan, die Außenbeleuchtung ist noch nicht installiert. Nur eine nackte Glühbirne hängt da, aber New York hat immer genügend Licht für alle. Die Tische und Stühle sind alle belegt, belagert, etliche Gäste stehen, knien oder kauern auf dem Boden oder dem schmalen Fenstersims. Ich sitze auf einem Gartenstuhl mit dem Rücken zur Straße, kann in den neuen Laden linsen, auf das Chaos darin, die Baustelle. Mittendrin steht eine riesige Säule aus verpackten Eiswaffeln, Eiserhörnchen, wie meine Mutter immer dazu sagt, sie macht sie in einem Waffeleisen nach altem Rezept, bei dem Anis den heiß noch rollbaren, nach dem Erkalten aber knusprigen Hörnchen die besondere Note gibt.
Ich bin gebannt vom Vortrag eines Freundes unserer Freundin, kaue auf kleinen, platten Waffeln herum, die nach gar nichts schmecken. Vielleicht schmecke ich auch nichts, weil mir die Tränen kommen, sich meine Kehle zuschnürt. Ich könnte jetzt hemmungslos heulen. Meine Frau sitzt mir gegenüber, sieht an mir vorbei auf den Verkehr, den ich kaum wahrnehme. Zu sehr nehmen mich die Worte des Mannes etwa drei Meter rechts von uns gefangen. Er steht zwischen den Tischen: ein langhaariger, sehr bärtiger Mann, der mich an eine schlanke Version von Hagrid aus den Harry-Potter-Filmen erinnert.
„So, my dear, we are always with you …“ Der Mann erzählt von seinen Eltern, die er als junger Mann in der Alten Welt Europa verlassen hat, um sein Glück weit weg in der Neuen Welt Amerika zu versuchen. Er erzählt von seinen ersten Tagen hier in New York. „Und du musst wissen, wir sind immer bei dir“, sagt er jetzt auf Deutsch und blickt mich von der Seite an. Ich muss tief durchatmen, sehe die pappigen Waffeln in meiner Hand. Warum esse ich, obwohl ich sie gar nicht mag, obwohl ich heulen könnte? Der Mann sieht zufrieden aus. Er ist ein Geschichtenerzähler und mich hat er in seinen Bann gezogen. Die anderen Leute scheint er nicht sonderlich beeindruckt zu haben, auch meine Frau nicht. Es gibt höflichen Applaus. Ich wende mich ab, mein Blick wandert an den Fassaden der gegenüberliegenden Wolkenkratzer entlang bis hoch zum Himmel, einem nur winzigen Stück davon. Ich habe Glück: Ein silbriger Mond steht dort oben. Er hat einen Hof. Hat keinen Hof! Wenn ich blinzle, ist er klar und deutlich, verschwindet jetzt aber hinter den Hochhäusern. Also wird es keinen Regen geben, denke ich, und wische meine Tränen verstohlen mit meinen Ärmeln weg, in beiden Händen immer noch die kleinen, hauchdünnen Waffeln. Warum?
Mein Sohn kommt heraus, begleitet von einem Kellner mit einem silbernen Kännchen in der Hand. Mein Sohn setzt sich zu uns auf den Fenstersims. Er hält dem Kellner eine kleine Tasse hin. Der füllt sie aus dem Kännchen, das dabei im Mondlicht glitzert – oder doch eher im Licht der nackten Glühbirne.
„Tee wäre jetzt genau das richtige“, stelle ich fest. Meine Worte kommen undeutlich aus meinem Mund, weil sich dort immer noch die pappige Masse befindet.
„Das ist kein Tee“, sagen mein Sohn und der Kellner gleichzeitig.
„Milch direkt aus der Tüte“, sagt der Kellner. „Ihr Sohn ist ein Kenner. Er wird es hier noch weit bringen.“
Mein Sohn nickt ernst und kippt die kleine Tasse wie ein Schnapsglas.