In einer Polizeimeldung lese ich wieder diesen merkwürdigen Begriff:
„Autofahrer kommt alleinbeteiligt von der Fahrbahn ab und überschlägt sich“.
Alleinbeteiligt. Ich verstehe natürlich, was gemeint ist, ahne, dass es bei dem seltsamen Adverb um eine juristische Kategorie geht: kein Fremdverschulden, keine weitere Person ist beteiligt. Aber wieso spricht man bei einem allein verursachten oder dem Einzelnen widerfahrenen Unfall überhaupt von beteiligt? Weil es sonst nur Unfälle zwischen mindestens zwei Beteiligten gibt? Schon ohne „allein“ macht das Wort „beteiligt“ keinen Sinn, erst recht nicht als Kompositum mit dem betonten Wort „allein“: Jemand, der sich beteiligt, schließt sich an, ist damit ein Teil von etwas, nicht Initiator, nicht in vorderster Reihe, er folgt eher einer Aktion oder Aufforderung, beteiligt sich vielleicht erst nach längerer Überlegung oder auch nur widerwillig, als Person oder mit Geld – als stiller Teilhaber …
Wieso nur „beteiligt“?
War der Unfall also schon da und der Fahrer hat sich nur daran beteiligt oder wurde beteiligt (von wem?), wohlgemerkt alleine bzw. als Einziger? Merkwürdig, nicht wahr? Oder ist man, wie der Begriff suggeriert, nur ein Teil des Geschehens? Nur dabei? Allein dabei? Absurd, oder? Da ist sonst niemand. Keine Person, nur Dinge, ein Auto, und wohl kein Tier, kein Reh – aber wer weiß? Da ist dieser eine Mensch, der einen Unfall hat, „verunglückt“ ist. Der Unfall widerfährt, „passiert“ diesem einen Menschen ganz allein. Übrigens überschlägt sich, wie in der Headline verkürzt dargestellt wird, nicht er, sondern sein Auto. Anders als ein Motorrad kann ihn das Auto sogar schützen, selbst wenn es zuletzt auf dem Dach landet: Der Polizeimeldung zufolge wurde der 66-jährige Fahrer tatsächlich nur leicht verletzt.
Nicht eher „unbeteiligt“?
Der Begriff „beteiligt“ widerspricht womöglich auch der subjektiven Wahrnehmung. Der Unfallfahrer wird das Geschehen wie einen bösen Traum erleben oder in einer Art Trance. In einem solchen Extremfall regeln Instinkte das Verhalten, Schmerz wird (noch) ausgeblendet, ein Gefühl der Ohnmacht schleicht sich vielleicht heran. Wer eine solche adrenalin-gesteuerte Situation schon erlebt hat, weiß, dass man quasi „neben sich steht“, wie unbeteiligt. Alleinunbeteiligt.
Subjekt oder Objekt
Sich als Teil von etwas zu verstehen, also nur an etwas „beteiligt“ zu sein, klingt nicht nach reiner Tat, selbst unter Beigabe von „allein“ (s.o.). Doch selbst bei einer eindeutigen Tat, einer bewussten Handlung gilt juristisch die Unschuldsvermutung. Erst ein Gericht wird im Zweifel (be-)urteilen, zu welchem Grad der „alleinbeteiligte“ Mensch als vernunftbegabtes, handelndes Subjekt „alleinverantwortlich“ (alkoholisiert, zu schnell) oder nur „teilverantwortlich“ (fahrlässig, unaufmerksam, nicht zurechnungsfähig) war oder eben ein Opfer widriger Umstände (Ohnmacht, rutschige Fahrbahn, Seitenwind) wurde.
Pech, Unglück, Unbill, Ungemach, Tragödie – jenseits objektiver Erklärungen von Sachverständigen bemüht der Volksmund gern den alten Aber- und Götterglauben. Der Mensch ist demnach ein Objekt, nicht alleinverantwortlich für sein Tun und Handeln. Er unterliegt dem Schicksal, einer göttlichen Vorsehung, jedenfalls einer Macht außerhalb menschlichen Vermögens und Einflusses. Der Mensch ist nur Teil eines Spiels höherer Mächte.
Warum „alleinbeteiligt“ Bullshit ist
Betrachten wir es positiv: Der Mensch ist als Einzelwesen zugleich ein soziales Wesen. Er braucht andere, um zu leben. Er entsteht in einem anderen Menschen, aus der Vereinigung zweier Menschen oder wenigstens ihrer Zellen. Das unterscheidet ihn zwar noch nicht vom Säugetier, aber etwas Wesentliches, Sublimiertes hebt ihn aus der Welt purer Triebe und Instinkte heraus: Gefühl und Vernunft. In der Liebe wie in der Gesellschaft ist er nie alleinbeteiligt. Er beteiligt sich, nimmt Anteil, teilt sich mit, teilt mit anderen, was er hat, was er fühlt und denkt – teilt nicht zuletzt sein Leben mit dem eines anderen Menschen.
Ein Mensch ist beteiligt oder er ist es nicht, er ist allein oder nicht. Alleinbeteiligt ist ein Bullshit-Wort, ein fachidiotischer Begriff aus der Beamtensprache, ein bürokratisches Unwort – ähnlich übrigens dem des Ein-Personen-Teams, einer Bezeichnung aus der Controlling-Sprache, semantisch widersinnig, buchhalterisch sinnhaft.
Und so kommen die Dinge zusammen: Das 1-P-Kamerateam, das aus nur einem Kameramann/einer Kamerafrau besteht, filmt alleinbeteiligt den Unfall eines Autofahrers, der alleinbeteiligt von der Fahrbahn abgekommen ist. Zwei Alleinbeteiligte!
Fast hätte ich es übersehen: Im Plural muss ich das Wort nicht einmal gendern. So kann ich damit also doch noch meinen Frieden machen.