Dies ist es, was ich dir sagen will: Ein freundliches Wort geht in die Welt. Egal, wem du es sagst, wann du es sagst, wo du es sagst. Ein freundliches Wort wirkt immer. Ein Beispiel? Selbst der junge Mann am Nachtschalter der Tankstelle legt sich anders schlafen, im Morgengrauen, wenn du schon beinahe wieder aufstehst und dich gar nicht mehr erinnerst, dass du ihm Mut gemacht, dich nicht nur mürrisch bedankt, ihm viel Kraft für die Nacht gewünscht – ihm ein Stück Sicherheit gegeben hast, denn wer weiß, was für ein Gesocks sich noch zu ihm verirrt, lange nach dir, wenn du schon selig schläfst.
Du bist ein freundlicher Mensch. Du denkst nicht nach, was deine Freundlichkeit selbst in jeder kleinen Geste für die Welt bedeutet. Glaub mir: Jedes freundliche Wort ist die Geburt von etwas Gutem; es geht auf die Reise, verändert ein winziges Detail, ist ein Funke im Gemütszustand des anderen Menschen.
Nimm den Tankwart. Er wird müde nach Hause kommen. Vielleicht schläft seine Freundin noch. Leise wird er sich ankuscheln, sie küssen – und vielleicht ist in diesem Kuss dein freundliches Wort enthalten, in der Art, wie er küsst, zärtlicher als sonst. Und wenn sie nur wenig später aufwacht, wird sie dies mit einem Lächeln tun, ihn ebenfalls küssen. Wenn sie früh ins Büro geht, wird sie den ersten Menschen, den sie trifft, den Portier vielleicht, nicht nur einfach grüßen, sondern freundlich grüßen, nicht müde, zerknautscht, sondern wach und aufmerksam, wird ihn vielleicht fragen, wie seine Nacht war, ob alles ruhig verlief.
Und er, der so wertgeschätzt früh am Morgen Feierabend macht, noch nicht müde, wird vielleicht in die nächste Bäckerei gehen, sich und seinen Liebsten etwas Schönes kaufen, freundlich sein und den Verkäuferinnen einen schönen Tag wünschen, draußen einmal tief durchatmen und sich freuen, am Leben zu sein. Die Sonne wird aufgehen, vielleicht scheint sie schon oder es regnet, ist grau in grau. Aber nicht in den Herzen, die alle erstrahlen von einem freundlichen Wort, von dir.
So träume ich. Jemand spricht mit mir. Oder spreche ich mit mir selbst? Denke es mehr, als dass ich es träume? Ich beschließe den Gedanken zu behalten, ihn nicht, wie die anderen flüchtigen Träume, verblassen zu lassen. Er kommt mir an diesem Morgen vollkommen logisch vor. Ich dusche mit einem Lächeln, pflege mich, trinke den ersten Kaffee, starte in den Tag, in meinem Homeoffice. Es hat abgekühlt dort draußen. Ich überlege, die Heizung anzumachen. Ist das nicht noch viel zu früh Mitte September? Schon kommen ganz andere Fragen, Probleme warten auf Lösungen. Was wäre mein Job ohne diese ständigen Herausforderungen, mehr kleine, nervige als große zum Verbeißen. So vergesse ich ihn doch, meinen Gedanken, verliere meinen Traum, das freundliche Wort.
Abends fahre ich noch schnell in die Stadt, um Getränke zu besorgen. Ich gehe gerne zu diesem Laden mit den sportlich-kernigen Angestellten, die ich mir jenseits des Wuchtens von Kisten allesamt gut als Biker vorstellen kann. Der Getränkeshop liegt gleich neben meinem ehemaligen Friseur und schräg gegenüber der Tankstelle. Tankstelle? Da war was. Schon kommt der freundliche Verkäufer mit der Bürstenfrisur und dem tschechischen Akzent. Ihn habe ich hier schon lange nicht mehr gesehen, will es ihm sagen, doch er kommt mir zuvor. Schön, Sie mal wiederzusehen, wie geht es Ihnen? Sein Mund-Nase-Schutz spannt sich. Er lächelt.
Ein freundliches Wort. Jetzt fällt es mir wieder ein. Der Gedanke aus meinem Traum. Alles ist wahr! Traum und Wirklichkeit – das Leben.