Wunderwasser

Ein Märchen

Einmal in der Woche, immer sonnabends zogen die älteren Männer des Dorfes in aller Frühe hinauf auf ihren Hausberg. Sie taten dies bei jedem Wetter und selbst im tiefsten Winter. Dann war der Weg so beschwerlich, dass sie der Aufstieg gut und gerne einen halben Tag kostete. Nur einmal in der Geschichte des Dorfes blieb den Männern der Aufstieg drei Wochen lang verwehrt, zu widrig waren die Umstände, zu groß die Lawinengefahr, sodass sie um Leib und Leben fürchten mussten. In jenen Tagen strickten die Frauen ihnen Mützen aus Schafwolle, die zwar wärmten, aber doch auch gehörig kratzten, sodass die Männer den Abend herbeisehnten, an dem sie die wollenen gegen ihre leichten Nachtmützen aus lindernden Leinen tauschen konnten. In jenen drei Wochen trugen alle älteren Männer jenes Dorfes Tag und Nacht Mützen. Aber nicht wegen der Kälte allein taten sie das, denn ihre Häuser waren warm und draußen war zu dieser Jahreszeit ohnehin nichts zu tun. An Holz zum Heizen herrschte auch kein Mangel. Es gab einen anderen Grund für das Behüten ihrer Köpfe.

Um dieses seltsame Benehmen zu verstehen, müssen wir auf den Ursprung des allwöchentlichen Rituals zurückgehen; er findet sich in der Dorfchronik, die die Ältesten verwahrten wie den heiligen Gral. Und sie taten recht mit solcherlei Geheimniskrämerei, denn schon bald sollte sich in dem glücklichen Dorfe in der Abgeschiedenheit der alpinen Bergwelt etwas Unheilvolles zutragen. Eines milden Frühlingstages, es war ein Freitag, verirrte sich ein Fremder, vorgeblich ein Krämer auf der Durchreise, in das Dorf, klopfte vergeblich an die Türen, entdeckte schließlich einen kleinen Jungen beim Spielen im Garten. Noch ehe die Mutter ihr Kind vor dem Fremden in Sicherheit bringen konnte, hatte dieser ihn schon an den Zaun gelockt.
„Guter Junge, kannst du mir sagen, wo ich eine Bleibe für die Nacht finde. Es dämmert ja schon zur kühlen Nacht – und heute werde ich nie und nimmer ins nächste Dorf kommen.“
„Dies mag wohl sein und ist wirklich misslich“, sagte die herbeigeeilte Mutter, deren angesichtig der Fremde höflich seinen Hut lupfte, unter welchem ein kahler Schädel zum Vorschein kam. Die Bauersfrau erschrak bei diesem gänzlich ungewohnten Anblick, ihr Sohn versteckte sich hinter ihrer Rockschürze, doch trotz aller Abscheu konnte sie den Fremden ja nicht einfach fortschicken. Dann müsse er wohl oder übel in der Scheune schlafen, sagte sie mit bebender Stimme, im ganzen Dorf gebe es keine Herberge und jede Familie habe auch nur so viel zum Wohnen, wie es ihr selbst genüge. Heute Abend könne er noch etwas Brot und Ziegenmilch bekommen, doch morgen müsse er beizeiten aufbrechen, um in den nächsten Ort zu gelangen. Den Weg werde man ihm genau erklären.
Der Fremde nickte betrübt und bedankte sich; dies sei mehr, als er angesichts der Umstände, die er ihnen mache, erwarten dürfe. So richtete man dem Fremden ein Nachtlager und ein Mahl im Stall eben jenes Bauernhofs; er musste beim Vieh übernachten, aber dort war es immerhin warm.

In aller Frühe erwachte er schon vor dem ersten Hahnenschrei, denn mit einigem Getrappel und Geschepper versammelten sich auf dem Dorfplatz besagte Männer, um wie an jedem Sonnabend in die Berge aufzubrechen. Weil der Stallgast nicht nur wach und erfrischt, sondern auch neugierig war, folgte er dem Tross heimlich und in gebührendem Abstand, was alsbald zu einem heiklen Unterfangen geriet, denn mit den Bergen war der Fremde weit weniger vertraut als die Einheimischen, und so drohte er einige Male abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen. Zum seinem Glück war er schwindelfrei und hatte überdies Mut, beflügelt durch seine Neugier, die umso ärger in ihm bohrte, je länger er unterwegs war. Der Bergpfad mit seinen Pflanzen bot ihm hinreichend Deckung, und im bereits hellen Licht der Sonne stoppte endlich der Zug der Männer. Der Fremde versteckte sich hinter einer schiefen Tanne. Durch die Zweige lugend sah er, was als nächstes geschah – und traute seinen Augen nicht.

Dort, wo die Männer schweigend verharrten, verbreiterte sich der Pfad zu einer Felsplatte. In dessen Mitte befand sich eine Senke, die mit etwas Warmem gefüllt war, denn ihr entstieg Dampf. Sodann geschah das eigentlich Merkwürdige: Die Männer – es waren dreiunddreißig an der Zahl, von jung bis alt – entkleideten sich und da sie nie und nimmer alle in das Felsbecken gepasst hätten, setzte sich einer nach dem anderen hinein wie in einen Waschzuber, verharrte darin kurz, aber mit sichtlichem Genuss, um mittels eines Holzlöffels Wasser aus dem Becken zu schöpfen und auf sein Haupt zu gießen. Der Fremde hatte scharfe Augen und so sah er, was er kaum glauben konnte: Jedem der Männer, die tropfend dem Wasser entstiegen und sich sogleich wieder bekleideten, wuchs das Haar dichter, wenn auch nicht länger als zuvor, in dem Maße, wie es im Nu trocknete – als ob das Wasser selbst sich in Windeseile zu Haaren entspann und den Männern so einen kräftigen und jungen Haarschopf verlieh, egal wie ausgedünnt dieser vor dem Bad noch war. Jedoch nicht wild sah die Frisur eines jeden aus, sondern gepflegt, wie frisch vom Barbier. Und anders als es ihre neue Haarpracht vermuten ließe, wurden sie körperlich nicht verjüngt; das Wasser schien ihnen nur ihr volles Haar zurückzugeben. Warum also setzten sie sich in ihrer ganzen Blöße hinein? Gehörte es schlichtweg zu diesem unfassbaren Zauber? Hielt es sie auf unsichtbare Weise auch den ganzen Mann gesund oder wollten die Badenden einfach nur nicht allzu viel von dem kostbaren Wasser verschwenden? Der Fremde musste sich setzen und weil die Männer alsbald wieder den Rückweg antraten, kauerte er sich so gut es ging hinter das Nadelgeäst, schmiegte sich um den Stamm, als wollte er sich mit ihm verwachsen. Die Männer bemerkten ihn nicht, und nachdem der letzte sein Versteck passiert hatte, sah der Fremde wehmütigen Blickes zum Felsbecken und haderte mit sich, ob er nicht doch an eigenem Leibe ein Bad probieren oder lieber den Männern folgen sollte, damit er sich nicht ein weiteres Mal und viel tiefer verirrte. Schweren Herzens verließ er sein Versteck und stieg vorsichtig wieder hinab. Und als er später das Dorf in gebührender Entfernung umging und den richtigen Weg fand, war in seinem Kopf ein großer Gedanke gewachsen: Dieses wundersame Wasser, woher auch immer es sich speiste und was sein Geheimnis auch war, würde ihm nicht nur sein Haar zurückgeben, es würde ihn auch über alle Maßen reich machen. Im Geiste sah er die Senke vor sich – nur dass statt des Wassers pures Gold in ihr schimmerte.

Es wurde Sommer, auf den Feldern im Tal wurde bereits das Korn geerntet, da begab sich ein bergkundiger Tross von der abgewandten Seite her mit allerlei tauglichen Tragebehältern zum Zauberberg, wie der Fremde ihn für sich taufte. Als wahre Krämerseele aus einer Stadt weit im Norden hatte er seine Unternehmung sorgsam vorbereitet, hatte sich sogar eine ganze Woche Zeit genommen, das Dorf aus einem hinreichend weit entfernten Lager auszukundschaften und so die sichere Erkenntnis gewonnen, dass die Männer immer nur an diesem einen Tag in der Woche und immer zur selben Zeit ihren Berg bestiegen. So hatte auch er seine Expedition für jenen Sonnabend angesetzt, an dem er und seine fünf Helfer spätvormittags an besagtem Felsbecken ankamen und es wie von ihm erhofft rechtzeitig verlassen vorfanden. Er widerstand dem Verlangen, sein blankes Haupt mit dem Wasser zu benetzen, denn seine Männer sollten nicht wissen, zu welchem Zwecke sie die flüssige Fracht mühsam hinabzutragen hatten. Also schöpften sie, so viel sie eben konnten, ohne dass das kostbare Nass auch nur einen Deut zur Neige ging, und traten alsbald schwer beladen den gefährlichen Abstieg an. Beinahe hätte es den Kaufmann, der selbst einen vollen Schlauch auf seinem Rücken trug, in die Tiefe gerissen, doch ein besonders kräftiger Helfer, war zur Stelle, und so kamen sie alle glücklich und wohlbehalten wieder an ihrem Ursprungsort an. Von hier aus war es nicht mehr weit zum nächsten Ort, an dem bereits ein Pferdewagen mit Fässern zur Aufnahme des kostbaren Wassers wartete. Der Kaufmann entlohnte seine Helfer reichlich, die eilig und zufrieden von dannen zogen – geradewegs in die Dorfschänke, wo sie ihren Lohn verprassten, aber wohlweislich nichts über ihr Tagwerk und den Fremden preisgaben. Der rieb sich die Hände, hielt seinen Wagen später im Schatten eines großen Baumes und konnte es kaum erwarten, das Wasser endlich zu erproben. So tauchte er eine hölzerne Kelle in eines der Fässer und übergoss seinen blanken Schädel. Unverzüglich bemächtigte sich heißes Kribbeln seiner Kopfhaut, wanderte rasch von seiner Stirn zum Nacken, und als er einen kleinen Spiegel zur Hand nahm, blickte ihm der Jüngling entgegen, der er einst gewesen war. Volles blondes Haar in makellos gelegter Frisur prangte auf seinem Kopf, als wäre es ihm nie abhanden gekommen, während jedoch die Falten in seinem Gesicht unverändert blieben, er sich also ansonsten nicht verjüngte. Desungeachtet fuhr sich der Kaufmann wieder und wieder durch sein volles Haar, jubilierte laut lachend und setzte seinen Weg ganz beseelt fort.

Wie sollte es auch anders sein: Der Mann mit der güldenen Haarpracht wurde reich und immer reicher. Bald schon erstand er von einem verarmten Edelmann eine kleine Trutzburg, wo er so viel Wasser lagern und schützen konnte, wie er nur wollte. Und weil die Männer, besonders jene in den Städten, ihm die Phiolen mit dem Zauberwasser aus der Hand rissen, selbst die Hochwohlgeborenen an den Höfen ihre Perücken lieber auf volles Haar oder überhaupt nicht mehr aufsetzten, und obwohl er zusehends bedrängt wurde ob seiner Quelle, schaffte er unablässig Nachschub heran, ohne dabei entdeckt zu werden, denn er wachte mit Argusaugen und mit üppiger Bezahlung darüber, dass sein Tun weder belauert, noch verraten wurde. Eisern beschränkte er sich auf die Sonnabende, die ihm besonders sicher und folgegrichtig erschienen, eben weil die Männer des Dorfes immer zur selben Zeit dort waren. Vielleicht, so sagte er sich, war neben dem Wochentag auch die Tageszeit von Belang, denn aus eigener Anschauung wusste er ja, dass sich die Labsal fürwahr auf die Zeit weit vor dem Mittag beschränkte. Weil ihm also durchaus ein tieferer Sinn dahinter deuchte, schickte er seine Helfer immer zur selben errechneten Zeit hinauf, dass sie kurz nach dem Bad der Dörfler eintrafen, um das Wasser hernach mit großer Eile zu schöpfen und hinabzutragen. Denn ihr Auftraggeber bezahlte sie umso fürstlicher, je früher sie zurückkamen. Doch schon bald sollte sich das Schicksal wenden.

Nicht nur, dass die Kunden immer gieriger nach dem teuren Wasser verlangten und ob der vorübergehenden Wirkung binnen Wochenfrist gar einen Vorrat anzulegen gedachten, auch der Neid und die Neugier über die Bezugsquelle wuchsen sich aus wie eine Seuche. Überdies war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kunde vom Wunderwasser auch an die Ohren seiner Helfer dringen würde, dachte sich der Kaufmann. Solchermaßen von allen Seiten bedrängt und bedrückt, beschloss er, alsbald von dannen zu ziehen und sich an einem weit entfernten Ort südlich der Berge zur Ruhe zu setzen. Gewiss, das Wasser würde beizeiten zur Neige gehen, doch egal, ob er nun blond oder barhäuptig war: Er würde in jedem Falle unter den Menschen im Süden hervorstechen. Wie nie zuvor sehnte sich er sich nach einem unbehelligten Dasein zurück, hatte er doch bei weitem genug für einen sorglosen Lebensabend, ob kahlen oder behaarten Kopfes war ihm herzlich einerlei. Überdies rechnete er es sich hoch an, dass er das Geheimnis der Dorfbewohner bewahrte und ihnen unbeschadet zurückzugeben imstande war. Doch bevor er scheiden konnte, bedurfte es noch eines letzten großen Befreiungsschlages. Weil ihm zur Erreichung der benötigten Menge nichts anderes übrigblieb, ließ er seinen ehernen Grundsatz fahren und die Helfer erstmals auch unter der Woche Wasser holen, sammelte und lagerte so viel davon, wie die Zisterne seiner Burg zu fassen vermochte. Und weil die Glasbläserei kaum mehr mit der Herstellung von Phiolen nachkam, verkaufte er erstmals ganze Fässer an die Vermögenden. All dies führte dazu, dass er reicher als jeder König wurde – und zugleich ins Verderben stürzte.

Just an dem Tag, für den er frühmorgens seine heimliche Abreise geplant hatte, weckte ihn weit vor der Morgendämmerung lautes Geschrei. Als er zum Fenster hinaussah, wurde er einer wütenden Menschenmenge gewahr. Männer recktem ihm drohend Fackeln entgegen. In dessen Schein glänzten die Köpfe, denn sie waren allesamt kahl, selbst bei jenen, die zuvor noch Haarwuchs hatten. Der Kaufmann erschrak, fand auch sich selbst wieder barhäuptig und wusste nur zu gut, was die Stunde geschlagen hatte. Weil er seine Flucht vereitelt sah, griff er zu einer letzten List: Noch ehe die wütende Menge das Tor rammen oder gar Fackeln ins Burginnere schleudern konnten, bat er vom oberen Wachgang herab um Gehör. Die Männer verstummten und hielten mit ihrem zornigen Treiben inne. Es solle nicht ihr Schaden sein, rief der Kaufmann ihnen zu, sie mögen alle kommen und so viel von dem Wasser nehmen, wie sie wollten, selbstredend ohne auch nur einen Pfifferling dafür zu bezahlen, auch könne er sie mit all dem entschädigen, was seine Burg hergab, was nicht wenig sei. Nur einmal möge das Glück noch auf seiner Seite sein, dachte er bei sich, als er sich in seine ärmlichsten Kleider hüllte, das Tor öffnete und sich zum Schein in den hereinströmenden Pulk mischte . Sollten sich die Männer doch an der Zisterne und seinen Schätzen gütlich tun, so er nur unbemerkt, zwar ohne Hab und Gut, aber mit seinem nackten Leben entfliehen könne.

Und wirklich schien das Schicksal ihm noch einmal gnädig zu sein. Er war ein beträchtliches Stück Weges gelaufen, in der Absicht, bei Sonnenaufgang den Aufstieg zum Pass Richtung Süden zu erreichen, da hörte er Schreien und Wehklagen von der Burg, das an den Bergen widerhallte und zu Donnerhall anwuchs. Der Kaufmann rannte um sein Leben; er hoffte inständig, dass die Männer nicht mehr in der Lage wären, ihn zu verfolgen, wünschte ihnen folgerichtig lieber den Tod, als dass sie diesen ihm beibrächten. Doch das Glück verließ ihn nun: Während er lief und sein Herz bis zum Halse schlug, vernahm er in seinem Rücken Hundegebell, erst leise, dann immer lauter. Sich zu verstecken, war gänzlich sinnlos geworden, soviel wusste der Flüchtende nun wohl, aber weiterzulaufen nicht minder. In seiner Verzweiflung kletterte er auf einen Baum und hoffte, dass ihn die Krone hinreichend verdeckte. Doch wenig später sprangen die Tiere laut bellend den Stamm empor. Sie hatten den Kaufmann gestellt, der jetzt einsehen musste, dass seine Lage aussichtlos war. Schon war der Baum von Männern umstellt. Ihre Schädel waren rot von Blut und sahen überdies abscheulich aus, alldieweil sie zu schmoren schienen wie Schweinsköpfe in Schlachttöpfen. Der Umzingelte wagte noch einmal zu hoffen: Wenn er nur recht lange auf dem Baum ausharrte, würde es einen nach dem anderen hinwegraffen und er müsste am Ende nur noch mit den Hunden fertig werden und diese würden vielleicht ihre Herrchen betrauern und ihn einmal mehr ziehen lassen.

Doch dann stach ihn ein langer Stecken hinterrücks so heftig, dass er das Gleichgewicht verlor und vom Baum fiel. Die Männer hielten ihre Hunde im Zaum, beugten sich in aller Ruhe über den Kaufmann, der flehend in ihre blutige Gesichter starrte, zerrten ihn hoch und legten eine Schlinge um seinen Hals. Mit vereinten Kräften zogen sie ihn an dem Seil nach oben – in den Tod. Während der Leichnam des Kaufmanns wieder zu Boden sackte, kannten die Hunde kein Halten mehr und fielen über den Toten her. Die Männer ließen sie, denn ihnen schwanden die Kräfte. Einer nach dem anderen fiel um; keiner blieb am Leben. Die Hunde jaulten, als sie dessen gewahr wurden und flüchteten alsbald, den Hütten und Schlössern zu, aus denen sie gekommen waren.

Tags drauf gelangten die Frauen der armen Seelen zu der grausigen Stelle, die einem Schlachtfeld glich, aber an Blutrunst so verheerend erschien wie kein anderes. Niemand weit und breit vermochte das rätselhafte Geschehen zu erklären, erst recht nicht den grauenhaften Umstand, dass weitere Männer jedes Alters tot und ohne Schädeldecke aufgefunden wurden, manch einer gar vor den Augen ihrer Angehörigen jämmerlich zugrunde ging. Auf nachgerade eitelste Weise nahm jeder der grausam zu Tode gekommenden Männer sein Geheimnis mit ins Grab. Erst als die Rede auf die Fässer und Phiolen kam, welche allen Opfern gleichermaßen zueigen gewesen waren, aber nur schnödes, abgestandenes Wasser enthielten, das ob des Ekels, aber zum Glück für alle Lebenden restlos weggeschüttet wurde. Ein fahrender Sänger trug die Geschichte ins Land und so erreichte sie auch jene Bergsteiger, welche dem Kaufmann zu Diensten gewesen waren. Ängstlich steckten sie ihre Köpfe zusammen und am Ende schworen sie sich, nicht ein Sterbenswörtchen dessen preiszugeben, was ihnen nun schuldbewusst und grauenvoll vor Augen stand – zu sehr fürchteten sie die Strafe für ihr Tun. Wer hätte ihnen auch geglaubt, dass sie mitnichten ahnen konnten, für welches Unheil sie entlohnt worden waren. Und hätten sie nicht alles versoffen, sie hätten sämtliche schmutzigen Taler in den tiefsten Bergsee versenkt wie ihr fürchterliches Geheimnis in betäubendem Fusel. So lebten sie noch eine Weile mit ihrer Bürde und mieden den Berg wie der Teufel das Weihwasser. Nicht aber die Männer in jenem Dorf, die bis heute an jedem Sonnabend, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit in aller Frühe den Berg erklimmen und das Geheimnis des Wunderwassers bewahren.

©Martin Bensen