Abend im Kiez

Der Tisch neben der Eingangstür, an dem ich Platz genommen habe, wackelt. Das Messer sieht benutzt aus, ich tausche es verstohlen gegen das gegenüberliegende aus. Auch das putze ich heimlich mit der dünnen Papierserviette unter der weißen Tischdecke aus dickem, gestärktem Stoff.

Hinter dem piefigen Tresen zapft ein stämmiger, vollbärtiger junger Mann mit kurzgeschorenem Haar Bier. Ein anderer, ganz ähnlicher Mann kommt aus der Küche, gesellt sich zu ihm, spricht ihn auf türkisch an, blickt jetzt unter den tiefhängenden Biergläsern hindurch in den kleinen Gastraum, sieht mich, kommt bedächtig mit der Speisekarte an meinen Tisch.

Ich bestelle ein großes Pils vom Fass. Der andere Bärtige hat mitgehört, nickt zufrieden, zapft und dreht nebenbei den Sender mit italienischen Schlagern lauter.

Ein pummeliges Mädchen kommt aus der Küche, schaut gelangweilt in den Gastraum und zapft sich hinter dem Tresen eine Cola.

Ein junger hagerer Mann öffnet die Eingangstür, geht zielstrebig auf einen freien Tisch zu, setzt sich mit dem Rücken zum Tresen. Noch bevor er die Karte bekommt, ertönt eine Schlagermelodie auf seinem Handy, der Mann wartet, der Kellner zögert, legt die Karte neben ihm ab, jetzt nimmt der Hagere das Gespräch an, beginnt sofort zu reden, sein rechtes Bein hebt und senkt sich in schnellem Takt.

Mein Pils ist da, der Kellner lächelt, der Barmann zapft, der Hagere redet, das Mädchen holt einen Schminkspiegel hervor, zieht sich die Lippen nach und verschwindet mit einer Handtasche in der Küche.

Durch die Schwingtür kommt ein weiterer Kellner, dünn und ohne Bart, jongliert drei Teller, eilt damit in den zweiten Gastraum nebenan.

Im Fernseher an der Wand zum Übergang ist die Aufstellung zum Champions League Spiel AS Rom – FC Liverpool zu sehen. Keiner schaut zu.

Ein dickbauchiger älterer Mann kommt aus der Küche, stellt sich in Chefpose vor den Tresen, lässt seinen Blick schweifen und winkt einem älteren Ehepaar am Tisch hinter mir zu. Das Ehepaar fühlt sich geehrt, will aber jetzt zahlen. Der Chef nickt dem Kellner zu und verschwindet Richtung Nebenraum.

Der Hagere redet immer noch, der dünne Kellner deckt neben ihm schon zwei Tische ab.

Die Tür öffnet sich, ein blöd grinsender Mann mit Säufergesicht tritt ein, geht ohne Umschweife in den Nebenraum.

Eine Schülergruppe kommt von nebenan und verlässt lärmend das Lokal.

Ich zahle auch, bin müde.

Aber die Pizza war hervorragend.

©Martin Bensen