Die Frau mit dem Kopftuch setzt sich leise ans Fenster auf der anderen Seite des Ganges, sie hat den neuen Bestseller von Juli Zeh dabei und vertieft sich sogleich in das Buch.
Zwei italienisch sprechende Teenagerinnen kommen in mein Abteil, setzen sich an den Tisch eine Reihe vor mir und quatschen ohne Unterlass, während sie ihre Gummis aus den Haaren ziehen und sie wieder neu einfädeln. Die eine reizt das Klischee voll aus und lässt eine Kaugummiblase zwischen ihren knallrot geschminken Lippen platzen.
Ein sichtlich müder Radfahrer in gelbem Trikot stellt sein Fahrrad vorne an die seitliche Sitzreihe gegenüber der Tür und nimmt an dem anderen Tisch Platz. Er muss noch einmal aufstehen, um eine rabiate ältere Frau mit Bürstenfrisur und unfreundlichem Gesichtsausdruck durchzulassen, die mit dem Finger wortlos auf den Fensterplatz gedeutet hat. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt schon seit einiger Zeit völlig unauffällig eine Frau mittleren Alters, die in einer osteuropäischen Sprache leise in ihr Handy spricht.
Eine punkige junge Frau kommt mit einem Schlaks ins Abteil und setzt sich mit ihm auf die seitlichen Sitze direkt neben der Eingangstür. Unvermittelt schreit sie los: „OhKacke! JetzthabichdochglattdenKuchenvergessenichsolltedemKevindocheinenbacken – aberegalkriegterhaltkeinenderArsch. Mann ej…“
Ein dicker Mann mit rötlichen Haaren ohne Hals setzt sich rülpsend zwei Sitze weiter und beobachtet das schräge Paar stumm von der Seite. Er sieht aus wie Peter Griffin aus „Family Guy“. Aus seinem schmutzig-grauen Rucksack zieht er eine messingfarbene Halbliterdose Discounterbier, öffnet sie, leckt den Schaum vom Daumen und trinkt die Dose in einem Zug leer. Dann rülpst er herzhaft, reibt sich seinen Kugelbauch und schaut stumpfsinnig ins Leere. An der nächsten Haltestelle zieht er eine weitere Dose hervor, diesmal trinkt er mit kleineren Schlucken. Er wirkt zufrieden, in sich ruhend. Auf seine Weise genauso wie die Frau mit dem Kopftuch, die ganz in ihr Buch vertieft ist.
Der Schaffner kommt, quetscht ein unverständliches Kommando heraus. Egal, die Fahrgäste wissen, was der Uniformierte will. Vielleicht nicht ganz, denn jetzt verlangt der beschnauzte Machthaber zusätzlich zu meinem ICE-Ticket und meiner Bahncard auch noch einen „Lichtbildausweis“. Überflüssig zu erwähnen, dass der Mann von kleiner Statur ist…
Zwei weitere Dosen später, an der Haltestelle Frankenthal, steigt Peter Griffin aus. Mit ihm die meisten lärmenden Gäste. Der dicke Mann folgt ihnen nicht zur Treppe. Er steuert auf den gläsernen Aufzug zu, drückt den Knopf und holt eine Packung Zigaretten aus dem Rucksack. Der Aufzug kommt, Peter Griffin zündet sich eine an und stößt mit seinem Kugelbauch gegen die Tür, die sich nur langsam öffnet. Es dauert, bis sich die Kabine in Bewegung setzt, schon reichlich mit blauem Dunst gefüllt.
Nach einer Stunde nähert sich der Zug in aller Ruhe der Endstation Mannheim. Die Frau mit dem Kopftuch klappt ihr Buch zu und hält es respektvoll in der Hand. Erst als die Bahn steht, erhebt sie sich von ihrem Sitz und geht auf leisen Sohlen Richtung Ausgang.
Ich genieße es, als letzter auf den sonnigen Bahnsteig zu treten und freue mich auf den ICE nach Hause.
Wenn sich Schnellzüge verspäten, und das tun sie oft in Mainz, landet man schon mal in den Bummelzügen der Regionalbahn. In ihnen ist man wahrhaft „unter Leuten“…