Rauchmeister

Ein Brandmeister ist, anders als der Name missverstanden werden könnte, nicht ein meisterlicher Feuermacher, sondern ein Meister der Brandabwehr und -bekämpfung. Es ist ein Dienstgrad der Feuerwehr, eine Amtsbezeichnung, die sich durch ein „Ober“ und ein „Haupt“ noch veredeln und besser vergüten lässt. Dahinter stehen nicht selten besondere Verdienste, Mut und Kampfgeist. Menschen, die sich diese Dienstgrade verdienen, sind Menschen von Ehre. Der Brandmeister steht mitten in der Gesellschaft wie ein Fels in der Brandung. Er hat es mit Bränden zu tun, mitunter auch mit angrenzenden Aufgaben des Katastophenschutzes, immer aber mit dem einen Ziel: die Bevölkerung vor Gefahren zu schützen und auch einen möglichen Sachschaden möglichst gering zu halten. All das ist ein Rauchmeister nicht.
Weder ist damit ein Dienstgrad bezeichnet, noch ist es ein geschützter Begriff oder eine Amtsbezeichnung, schon gar nicht eine Ehre. Ein Rauchmeister ist schlichtweg ein Raucher. Ein starker Raucher. Einer, der es nur mit größten Anstrengungen schaffen könnte, vom Rauchen abzulassen. Ich nenne einen solchen Starkraucher einen Rauchmeister. Anders als der Brandmeister bekämpft er nicht den Rauch, schon gar nicht seine Sucht. Anders als der Brandmeister gereicht ihm dieses Verhalten aber auch nicht zur Ehre. Er ist kein gesellschaftliches Vorbild, wenn auch häufig ein geselliges Wesen. Allenfalls seinem Habitus kann ein Gleichgesinnter eine gewisse Würde nicht absprechen, etwa seiner Art, die Zigarette zu halten, sich lässig zu geben oder seinem stolzen, oft von einer gewissen Lebensverachtung geprägten Gesichtsausdruck, der auch Nichtraucher oder bereits entwöhnte Nikotinsüchtige faszinieren und sogar das Fürchten lehren kann. Rauchmeister sind sakrosankt, man spricht sie nicht auf ihre Sucht an, denn man könnte deren Zorn auf sich ziehen.
Rauchmeister sind nicht selten von einer Bärennatur, ungewöhnlich braungebrannt, vom Leben gegerbt und dadurch beinahe heldenhaft in ihrem Anschein, Cowboys, Desperados, Lebenskünstler. Sie wirken stark und wehrhaft gegen die Zipperlein der Schwächlinge, wie das genaue Gegenbild zum Hypochonder. Rauch konserviert, heißt es oft von solchen Meistern, Rauchen trainiert den Körper gegen Umweltgifte und Allergene, so wie frühkindliches Spielen im Dreck. Selbst aus der Wissenschaft kamen zu Anfang der Pandemie durchaus Hinweise, dass Rauchen das Coronavirus abhalten könnte. Überhaupt ist Rauchen eine der fürnehmsten Errungenschaften des Menschen, eines der neuzeitlichen Insignien vornehmlich männlich geprägter Macht und Würde, und selbstverständlich nach Ansehen und Stand umso edler und teurer ausgeprägt. Churchill, Ludwig Erhard, die Wirtschaftsbosse der wundersamen Fünfziger – so sehen Sieger aus, Kapitalisten.
Mein Rauchmeister aber ist nicht der wohlhabende Afficionado mit Humidor und teuren Havannas. Es ist der aufgeklärte Genießer, ein Bourgeois, der einst auch andere Stoffe inhalierte, als es unbedingt zum revolutionären Linkssein gehörte, selbst zu drehen und sich in rauchvernebelten Räumen die Köpfe heiß zu reden. Aus diesen Zeiten stammt auch die Verachtung für alles Kulinarische, insbesondere das nahrhafte und gesunde. Essen ist für den Rauchmeister von heute immer noch lästiges Beiwerk, selbst wenn es in den feinen Restaurants teuer bezahlt werden muss. Verächtlich blickt der schlanke Rauchmeister dann auf die oft dicklichen Zeitgenossen, die ihr Menü genießen, während er die ihm aufgetischten Gerichte nur widerwillig anrührt, manche unangetastet lässt, auf seinem Stuhl lümmelnd allein den Rauch seiner Zigaretten genussvoll inhaliert, nicht ohne immer wieder rasselnd und wie erstickend zu husten, dabei den nach schwarzem Tabak riechenden Glimmstengel nihilistisch über der Stuhllehne baumeln lässt, sodass Asche mit jedem Hustenanfall zu Boden fällt und der Rauch an die anderen Tische zieht.
Niemand wehrt sich dagegen. Auch ich nicht. Das Rauchen ist draußen gestattet. Zumal an diesem lauen Abend, an dem das Leben und das Lebenlassen die Leichtigkeit der wiedergewonnenen Freiheiten bestimmt. Soll er doch, denke ich, und bewundere sogar seine lässige Art, den verächtlichen Gesichtsausdruck, die zwar faltige, aber sonnengebräunte Haut in starkem Kontrast zu seinem blütenweißen Slimfit-Hemd. Er trägt diese auffällige Brille, ein erkennbar teures Modell, sie passt zu seinen fast schulterlangen, glatten grauen Haaren, seiner hohen Stirn und den dunklen Augen, die ihm insgesamt einen intellektuellen Charakter verleihen.
Eigentlich würde ich ihn gerne kennenlernen, doch er ist nicht allein. Eine Frau sitzt neben ihm und isst für ihn mit. Sie genießt das gute Essen – so wie meine Frau und ich. Spätestens nach dem Dessert habe ich Lust auf eine Zigarre. Vielleicht können wir später in der Rooftop-Bar einen Whisky zusammen trinken. Und vielleicht sitzt mir dann ein Verleger gegenüber und interessiert sich für meine Bücher. Oder ein Lektor. Oder ein Autor, mit dem ich über das Schreiben reden kann. Autoren, Lektoren und Verleger, weiß ich aus meinem früheren Leben, sind die größten Rauchmeister.

©Martin Bensen