Die Werbung hat nicht zu viel versprochen. Ich habe es mir gekauft, den Flakon aufgeschraubt, auf den Zerstäuber gedrückt, den Duft direkt auf die Brust gegeben, wie früher, als meine Haut noch jünger, noch ganz glatt und ohne Behaarung war, appetitlicher, und als mein Schweiß noch anders gerochen hat, strenger vielleicht, nach Testosteron, weshalb ich mir jetzt über die Wirkung nicht sicher sein konnte. Doch schon der frische Duft direkt aus dem Flakon ließ mich taumeln, versetzte mich zurück, vage in einen India-Shop irgendwo in Münster, vielleicht auch London, wo ich geschwankt hatte zwischen Sandelholz und Patchouli, das braun und ölig war und von dem es hieß, dass es krebserregend sein könnte, was mich auch jetzt noch verunsichert. Ich lese „rein pflanzlich“, hoffe, dass heute auf so etwas geachtet wird, wenn schon nicht früher, als wir auch nicht wussten, welche Pestizide und andere Gifte wir mit dem Gemüse zu uns nahmen, selbst mit dem aus dem eigenen Garten, denn die Männer redeten nicht darüber, was sie huckepack im Kanister hatten und auf die Pflanzen sprühten, wir Kinder sollten aber wegbleiben vom Zerstäuber, aus dem feine Wolken „Schädlingsbekämpfungsmittel“ entwichen, so lange bis der Druck nachließ und wieder gepumpt werden musste. Ich weiß noch, wie das Gift roch.
Ja, es funktioniert, es ist das Patchouli, das ich kenne. Es riecht wie damals, als meine ersten Liebe mir mit dem Finger den Hals entlang, weiter über die Brust bis zum Zwerchfell strich, dort innehielt und wie immer lachte, denn anders als heute hatte ich dort noch eine kleine Kuhle, die sie Aschenbecher nannte, aber zum Glück auf andere Weise benutzte, indem sie etwa Lambrusco reinträufelte und ausschleckte, mich dabei auf eine Weise ansah, dass ich schwach wurde, auch von ihrem Duft, nicht Patchouli, sondern irgendeinem Parfum mit Moschus, das seine ihm zugesprochene Wirkung tatsächlich nicht verfehlte.
Ach, diese Gerüche, wie stark sie an den Sinnen rühren, sie berühren, mich zurück katapultieren – und sei es nur für einige schöne Momente, nicht so sehr des Erinnerns, nein, es ist, als erlebte ich es neu, als sei ich tatsächlich dort, in der Vergangenheit, zumindest einen Augenblick.
Dass mehr als vierzig Jahre vergangen sind, erkenne ich an der Geruchsnote eine Stunde später. Mein älterer Körper erwidert mir den Patchouli-Duft anders. Nicht unangenehm, aber eben nicht mehr so wie früher. Vielleicht sollte ich wieder rauchen. Damals habe ich „gequarzt“, und zwar nicht wenig. Oder mich mit Lambrusco beträufeln. Wer trinkt so etwas heute noch? Ich jedenfalls nicht. Es war ja auch der billigste Fusel vom Aldi, halb haben wir ihn auch wegen der bastummantelten, bauchigen Flaschen gekauft. Nicht immer ist er uns bekommen, Kopfschmerzen hatte ich fast immer, und tatsächlich steigt mir jetzt der Geruch von erbrochenen Rotwein in die Nase.
Ich lass die Scheiben runterfahren, atme den Blütenduft ein – endlich ist Frühling, die Sonne scheint und wärmt das Wageninnere auf. Ich muss langsam fahren. Gab es damals schon 30er-Zonen? Links vorne sehe ich drei Männer mit langen, zu Pferdeschwänzen gebundenen Haaren. Alle tragen eine Lederjacke. Sie sitzen auf dem Gehweg, umringen ein Motorrad, ein älteres Modell, keine Ahnung, welche Marke. Als ich die Gruppe passiere, rieche ich Benzin, halb frisches, halb verbranntes, Vergasergeruch – gibt es eigentlich noch verbleites Benzin? Ich rieche Leder, rauchiges Leder, Teer und Leder. Männergeruch. Rieche ich das wirklich oder bilde ich es mir nur ein, rufe die Gerüche ab, die ich vielleicht in einer ähnlichen Konstellation abgespeichert habe? Dabei fahre ich gar nicht Motorrad, habe nur einmal auf einer alten BMW gesessen, hinten, und mich an dem Fahrer festgeklammert, was mir albern und unmännlich vorkam, aber ich hatte einfach eine Heidenangst. Leder und Benzin, mein Adrenalin – so riecht die wahre Hölle. Nicht nach Pech und Schwefel. Das sind Märchen – und die riechen vielleicht nach altem Buch.