Leuchtturm

Eine Art Idylle (III)

Mein Leuchtturm ist nicht hoch. Er steht auf einer Klippe über dem Strand, dem einzigen auf meiner einsamen Insel ganz im Norden. Danach ist nur noch Meer. An den meisten Tagen ist nicht auszumachen, wo das Wasser endet und die Luft beginnt, dort am Horizont, der unendlich scheint und doch irgendwo in der Ferne zu Eis erstarrt. Hier durchbricht ein Möwenschrei die Stille, dort eine Welle im Sand, die Brandung am Felsen. Es ist der Wind, der niemals Ruhe gibt und alles in Bewegung hält, an allem zerrt, es nach Belieben wiegt, zum Schwingen und zum Singen bringt. Der Wind ist immer da: Mal leise und sanft, als liebkose er jene, die er zuvor noch geschunden und gebrochen hat, als wiege er sie in trügerischer Sicherheit, so auch mich auf meiner Klippe oder am Strand, in der lauen Wärme des fahlen Sonnenlichts, inmitten von raschelndem Gras, dem flauen Summen des Turms, dem Quietschen eines salzstarrigen Scharniers, dem Klappern eines Ladens, dem Schlagen einer Tür – mal laut und rau, als hasse er all dies nun, das ihm doch bloß ausgeliefert ist und nicht fliehen kann vor seiner Wucht, mit der er auch das Meer aufpeitscht, es an die Insel schleudert, in die Luft verwirbelt zu salziger Gischt, zu blasigem Schaum und den Sand zu trilliardenfachen Nadelstichen. Dann sitze ich in meinem Leuchtturm, spüre das Vibrieren und Schwanken, höre das Heulen und das Tosen, schmecke selbst in meinem Schutz das Meer und sehe, wie auch der Kegel meines Lichts verweht und im grenzenlosen Schwarz vergeht. Manchmal aber nachts weckt mich Totenstille, dann gehe ich hinaus und vor zur Klippe, hebe meinen Blick vom spiegelglatten Meer zum wolkenlosen Himmel, sehe dort das Sternenmeer. Dann vermisse ich den Wind, der mich endlich packen, mich von meinem Felsen reißen, mich hinwegwehen soll – nicht hinab zum Spiegel, sondern hinauf zum Himmel selbst, hinein in die höchste Sphäre, und dort ermattend mich eintauchen lässt in die kalte Unendlichkeit, weit weg von dieser kleinen Welt.

©Martin Bensen